Irgendwo im Brandenburger Sand, auf halbem Wege zwischen Berlin und Wittenberg liegt das Dörfchen Feldheim, das einen eigenen Windpark, eine Biogasanlage und Solarzellen besitzt und genug Strom produziert, dass es nicht nur sich selbst versorgen kann, sondern noch weitere 55.000 Haushalte beliefern könnte. Das Dorf ist in seiner Energieversorgung unabhängig, als bisher einziger Ort Deutschlands: sowohl von großen Konzernen als auch vom Ausland, es ist weder der wirtschaftlichen Willkür des Kapitalismus noch der politischen Willkür der Weltbühne in gleicher Weise ausgeliefert, wie andere Orte es sind. Die Strompreise bleiben dort nicht nur konstant auf einem Niveau, auch nun, da sie andernorts in Folge des Ukrainekrieges beträchtlich steigen – dieses Niveau ist mit 12 Cent pro Kilowattstunde auch deutlich unter dem des übrigen Deutschland, wo der Strom durchschnittlich mehr als 32 Cent kostet. Letzteres wäre Grund genug, einen genaueren Blick auf Feldheim lohnend zu machen, selbst wenn die fortschreitende russische Aggression oder der immer ernster werdende klimatische Zusammenbruch nicht wären. Tatsächlich wurde das Örtchen schon mehrfach ausgezeichnet und erhält auch immer wieder interessierten Besuch von außerhalb und selbst aus dem Ausland¹. Dennoch herrschen Gleichgültigkeit und Trägheit vor in unserem Lande: Dieser bemerkenswerte Fall ist weder weithin bekannt, noch werden irgendwelche ernsthaften Anstalten unternommen, ihn sich zum Vorbild zu nehmen und ihn nachzuahmen. Auch deshalb sei hier von diesem leider einzigartigen Dorf gesprochen.
Dass es stets von Vorteil ist, möglichst unabhängig und also freier zu sein, das predigt die Philosophie seit der Antike. Die alten Philosophenschulen wie die Kyniker oder Stoiker hatten freilich hierbei mehr den Einzelnen im Blick: um dessen Unabhängigkeit ging es, als Diogenes, nachdem er ein Kind mit der Hand hatte Wasser schöpfen sehen, seine Schale wegwarf und erfreut ausrief, wie ihm doch die Natur bereits eine solch treffliche Schale mitgegeben habe. Aber die alten Stadtstaaten waren ja auch viel unabhängiger voneinander, als unsere heutigen Staaten es sind. Zwar gab es schon früh einen internationalen Handel, gab es früh etwa Verbindungen von Ägypten bis China, doch geschah dies in geringerem Umfange als heute und betraf vor allem exoterische Güter; die Grundversorgung fand in viel stärkerem Maße als jetzt aus eigener Kraft und mit eigenen Ressourcen statt. Es ist aber kein Zweifel, dass die Philosophen, hätten sie in einer Zeit vernetzteren Handels gelebt, auch wider diesen geraten hätten – der beste Beleg ist, dass Fichte, als einer der Neueren, eben dies getan und einen geschlossenen Handelsstaat vorgeschlagen hat. Es verrät vieles über unsere Zeit, dass ein solcher oder dass überhaupt das Ideal der Autarkie kaum je im Gespräch ist, und wenn es überhaupt nur entfernt ins Gespräch kommt, dass es erst eines Krieges oder einer Klimakatastrophe, dass es also erst der Not und des äußeren Druckes bedarf, der Fremdleitung also, statt dass man Vernunft, ja gemeine Klugheit, aber auch Würde genug hat, sich selbst seine Ziele zu setzen, ehe das Leben sie aufzwingt, und von selbst zu erkennen, dass die Unabhängigkeit in der Versorgung der Abhängigkeit vorzuziehen ist. Es lässt sich hier gar gut erkennen, wie oberflächlich unser ganzer Begriff von Freiheit ist, ja dass es, wenn heute allenthalben von Freiheit gezetert wird, immer nur darum geht, blindlings seinen Gewohnheiten und Leidenschaften nachgehen zu können und von Anmutungen verschont zu bleiben, die man als lästig empfindet, nicht aber um eigentliche Freiheit. So mag der rechte und im Verschwörungswahn befangene Mob, so mögen aber auch dessen etwas adrettere Genossen, die Liberalen und Libertären über Verlust ihrer Freiheit wettern, wo sie eine Maske tragen oder gendern oder sich impfen lassen oder mit Tempolimit auf der Autobahn fahren oder mal nicht in den Urlaub fliegen sollen, gerade dieselben Menschen aber finden es ganz in der Ordnung, dass wir uns abhängig machen von kaum berechenbaren Despotien wie Russland oder China, von denen wir wohl wissen, dass sie nur auf den eigenen Vorteil schauen und jederzeit uns zu schwächen und in weitere Abhängigkeit zu bringen suchen, ja gerade dieses Gesocks wird lauter als irgendwer sonst darauf beharren, anders gehe es nicht, man bräuchte es gar nicht erst versuchen, das wäre naiv und ideologisch. – Nun, lassen wir diese naiven Ideologen beiseite und stellen wir mit Blick auf Feldheim fest: Es geht durchaus. Denn wenn eine Gemeinde in Deutschland sich selbst versorgen kann (und dabei noch überschüssigen Strom für weitere 55.000 Haushalte produziert), warum sollte es nicht ebenso gut jede andere können, wenn sie denn nur wollte? Und dabei war man obendrein hier noch so aufgeklärt, diese Entscheidung zur Selbstversorgung selber zu treffen, nicht sich von den Geschehnissen erst aufzwingen zu lassen: das erste Windrad baute Michael Raschemann, der das ganze Projekt ins Leben gerufen hat und noch heute mit seiner Frau leitet, hier schon Mitte der 90er Jahre, also noch ehe ein Ukrainekrieg oder eine Klimakatastrophe Schlagzeilen machten. Und so geht es auch am besten: Man muss nicht auf den großen Knall hoffen, der die Leute einmal aufwachen und die Augen öffnen lässt, der Aufgeklärte hofft vielmehr auf ihre eigene Einsicht und ihren freien Willensentschluss.
Sich selbst zu versorgen, das ist der Tendenz nach, wie jede Unabhängigkeit, stets aufgeklärt. Umso mehr, wenn es echter eigener Entschluss war. Aber es verlohnt noch, zu schauen, wie Feldheim dies gelungen ist, da ja bei uns insbesondere die Freiheit als Kunst (statt nur als Recht oder als Möglichkeit oder eben als ein In-Ruhe-Gelassen-Werden) ganz unbekannt ist, da man schlicht nicht weiß, wie das geht: frei sein, da man allzu oft bedauernd die Achseln zuckt und spricht: Dies oder jenes wäre ein hübsches Ziel, allein es wäre doch nicht zu erreichen.
Nun, so wenig sich der Aufgeklärte abgedroschener Phrasen bedienen wird, das eine Sprichwort ist doch wahr, dass: wo ein Wille sei, auch ein Weg sei. Man muss eine Sache eben einfach wollen, wirklich und ernstlich wollen, dann wird man schon Mittel und Wege finden, sie zu erreichen, das ist das ganze Geheimnis der Freiheit. „Das geht nicht“, ist ja stets nur ein verstecktes „Das geht ohne Arbeit nicht, der Weg dahin liegt nicht gleich offen am Tage, er müsste erst mit Mühen und Anstrengung gesucht werden – und dies will ich nicht tun, denn eigentlich liegt mir an der Sache nichts“. So etwa bei allen, die eben schlechterdings behaupten, eine Selbstversorgung Deutschlands oder Europas wäre nicht machbar: Es sind elende Lügner, nicht redlich genug, einzugestehen, dass sie keine Wege zu solch einer Selbstversorgung suchen wollen. Raschemann war jung, noch ein Student, als er in Feldheim das erste Windrad baute, aber ein junges Alter, ein Mangel von Lebenserfahrung, fehlendes Geld und fehlender gesellschaftlicher Stand hielten ihn nicht auf. Die Gemeinde selbst ist pleite, aber auch sie wurde durch das fehlende Geld nicht aufgehalten. Wenn aber ein kleiner Student und eine mittellose Gemeinde solches bewerkstelligen können, weshalb sollten unsere Spitzenpolitiker oder ein so unendlich reicher Staat wie Deutschland nicht spielend dazu in der Lage sein? Man muss eben nur wollen und ernst machen – gäbe es mehr Menschen in Deutschland, denen diese Dinge nicht entweder gleichgültig sind oder die nicht zwar jammern und bedauern und auf die Verhältnisse und „die da oben“ schimpfen, aber dabei doch nichts tun, gäbe es mehr Menschen, die einfach mal machten und etwas anpackten, es wäre sehr Vieles, es wäre Gewaltiges möglich. Die Feldheimer haben sich nicht unterkriegen lassen: Als das Geld fehlte, da überzeugten sie einerseits das Land, trotz der Skepsis in der höheren Verwaltung, ihnen Fördermittel zur Verfügung zu stellen, andererseits sammelten sie selbst Geld – die Leute beteiligten allesamt sich mit jeweils 3000€, was zwar ein stattliches Sümmchen ist, jedoch auch kein so unmöglich hohes, dass ein solches gemeinsames Projekt nur den Besitzendsten möglich und in den meisten Gemeinden undenkbar wäre. (Freilich, ein wenig Mut und Zuversicht in das eigene Vorhaben erfordert solch eine Investition wie überhaupt solch ein Projekt, aber unterdes dürfte diese sich für jeden Beteiligten mehr als rentiert haben, sind sie doch damit Teilhaber des Windparks und profitieren sie darüber hinaus von ihrer Unabhängigkeit und den schon erwähnten niedrigen und gleichbleibenden Strompreisen). Als der örtliche Stromkonzern E.ON das Energie- und Wärmenetz nicht für die vom Dorf selbst produzierte Energie vermieten oder gar verkaufen wollte, da gab man auch jetzt nicht auf: Denn wiederum, nur wer eine Sache nicht wirklich will, kann von Hindernissen aufgehalten werden. Denn wem sie nur ausreichend wichtig ist, der schaut nicht auf die Hindernisse, die den Weg blockieren, sondern der richtet seinen Blick anders aus: nämlich auf die Lücken, durch die er weitergehen kann, und wenn er solche erst selbst schaffen muss: Die Feldheimer in diesem Falle haben kurzerhand ihr ganzes Dorf umgegraben und eigenständig neue Leitungen zu jedem Haus gelegt (E.ON wollte später, als er den Erfolg des Projekts sah, wieder einsteigen; da war es aber für ihn bereits zu spät). Und dieser weite Blick ist für die Freiheit entscheidend: Wer nämlich den eigenen Blick einschränkte, wer sagte: „Ich will X (etwa die Selbstversorgung) – aber es hat auf dem Wege Y (etwa durch das vorhandene Netz) zu geschehen“, der beraubt sich selbst seiner Freiheit, der nimmt sich die Möglichkeit, unvoreingenommen in die Welt zu schauen und zu entdecken, dass X vielleicht auch auf dem Wege Z zu haben wäre.
Sowohl in ihrem Ziele also als auch in ihrem Vorgehen haben die Menschen Feldheims Aufklärung bewiesen. Freilich fällt das Gute nicht fertig vom Himmel, sondern muss gesucht und erarbeitet werden: Ich habe beide Male davon gesprochen, wie eben der entsprechende Wille vorhanden gewesen sei: einmal wie überhaupt der Wille zur Selbstversorgung erst ein solches Projekt hervorgebracht habe, sodann wie die echte Freiheit zu seiner Umsetzung nur aus einem echten und festen Willen (der mehr ist als ein frommer Wunsch oder ein Hätte-Gern) erwachsen konnte. Das ist die Crux, das ist, wieso solch ein Projekt nicht leicht überall möglich wäre: physisch möglich, ja, aber nicht überall praktisch möglich.
Was hat nun diesen Willen der Feldheimer unterstützt oder hervorgebracht? Vielleicht individuelle Aufklärung, die zufällig hier einen Grad stärker war als anderswo, das kann ich nicht abschätzen, ohne genauer mit den beteiligten Menschen vertraut zu sein. Eine bedeutende Rolle hat wohl der damalige Student Michael Raschemann gespielt, der den ganzen Prozess erst angestoßen hat. Zwar haben andere Feldheimer sich nicht in den Weg gestellt, haben mitgemacht, stehen heute selbst voll und ganz hinter ihrem Projekt, aber ohne ihn hätten sie von selbst wohl keinen Windpark errichtet. Gerade so wie zwar Millionen Menschen bereit standen, um von Greta Thunbergs Protest berührt zu werden und sich Fridays for Future anzuschließen, aber ohne sie doch die meisten von ihnen weiterhin untätig geblieben wären. Das Stroh muss bereitliegen, damit ein Funke Feuer entfachen kann, aber es wird von allein kein Feuer fangen, es bedarf eben stets des Funkens. Man kann aus diesem Falle ersehen, was der von Fridays for Future im Größeren zeigt, man kann hier auch eine Antwort auf die alte Debatte finden, ob die Geschichte von großen Einzelnen oder von der Masse gemacht werde, sowie ebenso auf die Ausflüchte der kleinen Einzelnen, die ihre Untätigkeit so gerne damit begründen, ein Einzelner könnte ja doch nichts bewegen: Die Masse ist immer träge und antriebslos, sie bewegt sich nicht von allein, das einzige, was sie von sich aus tut, ist alles zu vermassen und zu nivellieren und alles Große zu zerstören. Man blicke durch die Geschichte, sei es des Denkens, der Kunst, der Wissenschaft, des Staates, des Rechts, überall wird man am Anfang irgendeinen Großen finden, von dessen Größe die anderen zehren, man wird die romantische oder sozialistische Vorstellung, „das Volk“, jene undefinierte, wabernde Masse, die ja als Einheit eben nicht existiert, sondern doch wieder nur aus tausend Teilen, aus tausend Einzelnen besteht, von denen ja irgendwer die Sache angestoßen haben muss, hätte irgendetwas „aus sich“ hervorgebracht, nicht bestätigt finden (wenigstens in den Fällen, die nicht in graue Vorzeit zurückreichen und wo sich der Ursprung einer Sache von Einem oder von Vielen nicht mehr nachweisen lässt). Andererseits bleibt es immer richtig, dass ein Mensch allein so gut als gar nichts bewegen kann, dass es immer viele braucht, bei denen sein Tun und Reden auf fruchtbaren Boden fällt und die mithelfen (das gilt im Schlimmen so sehr wie im Guten – nichts ist verkehrter als die beständige Ausrede, ein Hitler oder eine kleine Clique von NSDAPlern hätte die Deutschen in den Krieg gezwungen – freilich wären diese nicht alleine nach Stalingrad marschiert, wenn es niemand befohlen hätte, aber sie waren eben mehr als bereit, solchen Befehlen zu gehorchen). Aber wie oft ist jemand schon wahrhaft ganz allein? Oft ist diese Masse eben da, schlummernd, wartend, sehnend, oft braucht es nur den Funken, der in das Stroh fällt. – Es muss nur jemand wagen, Funke zu sein. Und deshalb bleibt es immer bedeutsam, nicht zu nivellieren, nicht alles auf die Masse zu wälzen, deren Fehlen dann immer leicht als Ausrede dienen und verzagt machen kann, sondern vielmehr solche großen und kleinen Heldengeschichten zu erzählen, um die Menschen – nicht zu inspirieren, wie es gerne heißt, denn den Geist, die Idee, das müssen sie von Höherem hernehmen, aber: – zu bestärken, um ihnen Zutrauen zu sich selbst zu machen. Wenn ein schlichter Student ein ganzes Dorf wandeln kann, warum solltest du, der du diesen Aufsatz liest, nicht ebenfalls etwas wandeln können?
Sicherlich war aber auch bedeutsam, gerade wenn nun doch der Blick auf die breitere Masse gerichtet werden soll, dass die Feldheimer von dem Projekt schlicht und ergreifend etwas haben: Ich nannte schon die Beteiligung aller an der Versorgung und deren Unabhängigkeit, ich nannte auch bereits die niedrigen und gleichbleibenden Strompreise. Ausgefallen ist der Strom noch nie, seit der Ort sich selbst versorgt, es ist vielmehr sogar vorgekommen, dass er in den umliegenden Dörfern ausfiel und doch in Feldheim allein noch die Lichter brannten: Leitungen, die Strom aus der Ferne liefern, sind anfälliger für allerhand Zwischenfälle, etwa für Bäume, die ein Sturm umwirft, wohingegen das von der Außenwelt unabhängige Dorf mit solchen Schwierigkeiten nicht zu kämpfen hat. Die Bauern am Ort begreifen sich nun als Land-, aber auch Energiewirte zugleich, sie sparen viel Geld bei der Versorgung ihrer Betriebe, die viel Strom benötigen, darüber hinaus verdienen sie noch an der Pacht für die auf ihren Feldern errichteten Windräder. Gewiss hatten Bauern, Jäger und andere Einwohner ihre Sorgen. Sorgen aber müssen keine Bangen sein, wenn man sie ernst nimmt, ihnen mit Vernunft begegnet und die Leute miteinbezieht. „Das ist das Besondere an diesem Ort: Die Feldheimer sind offen und ohne Vorurteile an die Sache rangegangen“, beschreibt Raschemann die Sache. „Sie haben sich die Argumente angehört, abgewogen und für sich entschieden: Wir wollen das.“² Menschen sind, gerade im Unmittelbaren, durchaus in der Lage, ihren Vorteil zu erkennen und zu wählen, wo nicht Ideologie sie ganz verblendet hat. Und wenn die Vorteile so groß sind und so klar am Tage liegen wie hier, dann arrangiert man sich auch durchaus etwa mit dem Anblick einiger Windräder vor der Haustür. Das Arge ist eben, dass die Energiewende nicht von unten her funktioniert, sondern oft nur von oben beschlossen und durchgedrückt wird. Die Leute erkennen keinen unmittelbaren Vorteil, ja überhaupt keinen in ihrer Lebenswelt gerechtfertigten Grund für den Wandel, und dies führt leicht zu Verstimmung und Ressentiment, zu dem Eindruck, hier werde aus ideologischen Gründen (von der dann beschworenen linksgrünen Ökodiktatur etwa) etwas „aufoktroyiert“³. „Die Energiewende mit Erneuerbaren ist für ganz Deutschland nur mit vielen, vielen dezentralen Projekten wie hier zu machen“, urteilt Bürgermeister Michael Knape richtig. „Es gibt eben kein Riesen-Windrad, das ganz Deutschland versorgen könnte.“ Und er hat ebenso Recht, dass hierfür die Politiker den Bürgern öfter mehr zutrauen müssten: „Die sind nämlich oft viel schlauer, als sie denken.“⁴ Bei der Energiewende wie anderswo käme es darauf an, dass man weniger mit Verbot und Zwang, mit vermeintlicher gebildeter und moralischer Überlegenheit und mit Gerede von Notwendigkeiten an die Menschen heranträte – „Wer Dinge erzwingen will, wird scheitern.“⁵ –, sondern mehr den Dialog mit ihnen suchte und diese selbst für den Wandel gewänne und mit einbezöge: indem man ihnen nicht allein vorhält, was Schlimmes geschieht, wenn sie ihn nicht vollziehen, sondern ihnen denselben schmackhaft macht und ihnen verdeutlicht, was hierdurch Gutes für sie entspringen könnte (wie so oft ist also geboten, mit einem Ja zu arbeiten, nicht mit einem Nein). Dies entspräche einer lebendigen, einer dezentralen, niedrigschwelligen und gestalterischen Demokratie, also gewissermaßen der Reichschen Arbeitsdemokratie, einer republikanischen Demokratie, bei der die betroffenen Menschen selbst und unmittelbar beteiligt sind und eben darum auch wirklich hinter den beschlossenen und umgesetzten Maßnahmen stehen und diese mittragen; zum Unterschiede von unserer abgehobenen, rein formalen Parlamentsdemokratie, wo der Bürge alle paar Jahre ein paar Politiker wählt, die doch alle einander gleichen und doch alle auf ihn nichts geben und so sehr über seinen Kopf hinweg agieren, wie es die Bürokratie ebenso gut in jedem autokratischen oder oligarchischen Systeme tut. Dass aber Demokratie gerade hier, wo wirkliche Bürger frei von ideologischen Kämpfen gemeinsam sich eines Infrastrukturprojekts und der Gestaltung ihres Zusammenlebens annehmen, am besten funktioniert, das ist so offensichtlich, dass es mir schon vor zehn Jahren bewusst war und ich mich damals in meiner Abitursabschlussarbeit damit auseinandersetzte; dass hingegen die formale parlamentarische Demokratie eine abstoßende Farce ist, das sollte jedem schon allein dann aufgehen, wenn er reflektiert, dass wenige Wochen vor oder nach der Bundestagswahl eine andere Partei als die SPD hätte den Sieg davontragen können, dass hier also Launenhaftigkeit und Wankelmut herrschen und dass absurderweise die Laune eines einzigen ganz zufällig angesetzten Tages, die doch schon vier Wochen später sich mit dem Wind wieder gedreht haben wird, die nächsten vier Jahre bestimmt, ganz so, als wäre der gemeine Wähler wirklich in der Lage, eine Bundestagswahl in ihrer Schwere zu begreifen und von einer belanglosen Sonntagsumfrage zu unterscheiden.
1 Gerade für ärmere und instabilere Länder, etwa in Afrika, ist ein autarkes Dorf wie Feldheim hochinteressant. Denn dort ist die Frage nicht bloß die nach einer Energiewende, dort ist noch die Frage, wie überhaupt Energie zu den Menschen zu bringen ist. Ein stabiles nationales Stromnetz aber gibt es dort nicht und wird es auf absehbare Zeit nicht geben, es gibt keine Regierung und keine Konzerne mit den Mitteln, eine landesweite verlässliche Stromversorgung zu gewährleisten; gerade hier also könnte es stattdessen geraten sein, dass jedes Dorf sich selbst seinen Strom erzeugt. Und so könnte der geringe Entwicklungsstand gegenüber den Industrieländern in diesem Falle teils sogar zu einem gewissen Vorteil gereichen, indem bestimmte Fehler derselben vielleicht nicht nachgeahmt, sondern sogleich bessere Wege beschritten werden.
2 Michael Raschemann: Im Interview mit Annika Leister für t-online vom 15.8.2022.
3 Eines der Lieblingswörter von Pegiditoten und Verschwörungstheoretikern. – Die Vaterlandsliebe geht eben doch nicht weit genug, Deutsch zu sprechen und schlicht „aufgedrückt“ oder „aufgezwungen“ zu sagen; man will wohl eines Teils etwas gebildeter klingen (das kann aber nur vor selbst Ungebildeten gelingen, die nicht wissen, dass „oktroyieren“ bereits „aufdrücken“ heißt, „aufoktroyieren“ also eine unnötige Tautologie ist und nichts anderes besagt als „aufaufdrücken“), andren Teils spricht man einfach, ohne über das Warum oder Wozu oder die Alternativen nachzudenken, den Jargon des eigenen Milieus und der eigenen Partei nach, wie ja die Unaufgeklärten immer auch in ihrer Sprache fremdgeleitet sind und sich nur in Klischees ausdrücken können und eben daher alle gleich klingen.
4 Michael Knape: Im Interview mit Annika Leister für t-online vom 15.8.2022.
5 Michael Knape: Ebd.