Nachfolgender Text ist die letzte meiner akademischen Hausarbeiten. Ich verfasste ihn um die Wende der Jahre 2018 und 2019; auf ihn folgte einzig noch meine Bachelorarbeit. Anlass war ein Aufbauseminar zur älteren deutschen Literatur, das ich in meinem Nebenfach belegt hatte und in dem es um das Ulenspiegel-Buch von 1515 gegangen war.

Man merkt dieser Hausarbeit, vergleicht man sie mit früheren Schriften von meiner Hand, deutlich die Reife an, zu der ich in meinen philosophischen Studien und in meinen Reflexionen über die aufgeklärte Haltung nun, im selben Jahre, da ich schließlich vor das Publikum treten sollte, gelangt war. Aus diesem Grunde habe ich, als ich sie jetzt für die Veröffentlichung noch einmal durchlas, nichts gefunden, das ich heute verändern würde, abgesehen von drei oder vier flüchtigen Schreibfehlern, die ich korrigiert, und einer Handvoll von stilistischen Unsauberkeiten, die ich so belassen habe und die Zeugnis meiner damals noch nicht voll ausgereiften Reflexion über meine Sprache und Wortwahl ablegen mögen. Auch ein längeres Vorwort zur Erläuterung, Ergänzung, Einordnung und gar Berichtigung erübrigt sich an dieser Stelle. Ich beschränke mich auf folgende kurze Vorbemerkung:

Das breitere Publikum mag wenig Interesse an Renaissance-Schelmereien haben. Dennoch kann sich die Lektüre dieser kleinen Arbeit dem an Aufklärung Interessierten empfehlen, denn ich habe damals, wie selbst ein oberflächliches Lesen bemerken sollte, den Anlass dieses Seminars und dieser Hausarbeit bloß genutzt, mich mit einem mir wichtigen Thema auseinanderzusetzen; Ulenspiegel ist, wenn sie es auch vorgeben mag, nicht der eigentliche Gegenstand dieser Arbeit, sondern lediglich das Material, worauf dieser angewendet wird. Zu einer solchen Anwendung einer Theorie, und zwar auf jeden beliebigen Gegenstand, muss fähig sein, wer immer Anspruch darauf erhebt, sie durchdrungen und verstanden zu haben – dies gilt übrigens nicht nur für jene Theorien, mit denen wir uns im Einklang finden, sondern gerade auch für jene, die wir verwerfen und ablehnen: Wenn heute beispielsweise der rechte Pöbel vom „Gendergaga“ fabuliert, so hat er dazu kein Recht und macht sich nur selber verächtlich, denn er hat sich nie auf diese Ideologie eingelassen und begreift sie gar nicht; mir dagegen stünde einzig und allein mein Mangel an Masochismus entgegen, wollte ich ein Queerreading irgendeines beliebigen Werkes veranstalten, und eben darum, weil ich diese Ideologie ausreichend durchdrungen habe, um sie anwenden zu können, kann ich sie verwerfen. Doch zurück noch einmal zum eigentlichen Gegenstande meiner Hausarbeit, denn diese hat Wert noch darüber hinaus, dass sie ein Beispiel der Anwendung beliebiger philosophischer Gedanken auf ein literarisches Werk gibt. Sie hat Wert, weil diese Gedanken selbst Wert haben: Es sind die Gedanken Foucaults zur Kritik bzw. zur Aufklärung, die für die Herausbildung meines eigenen Aufklärungsbegriffs und meiner philosophischen Lehre sehr bedeutsam waren (es ist der Impuls Foucaults, dem ich es verdanke, das, was ich schon vorher mit weniger deutlichem Bewusstsein gesucht hatte, bei der Aufklärung gefunden zu haben; ihm auch verdanke ich in wesentlichen Stücken mein Verständnis, dass Aufklärung Selbstkritik und Täterhaltung und ein Denken und Leben jenseits von Gut und Böse bedeutet): Wesentlich ist hier der Gedanke, dass Kritik nicht bedeuten muss, ein Anderes auf Grundlage mir von außen gegebener Wertmaßstäbe anzugreifen und zu verwerfen – eine Kritikform, die nicht nur unaufgeklärt, weil fremdgeleitet und von mir und meinem eigenen Tun ablenkend, sondern die in ihrer Opferhaltung auch gefährlich, weil potenziell in den Faschismus führend, ist –, sondern dass Kritik heißen kann, mich als Täter zu entdecken und als Täter zu leben: Kritik kann heißen, meine eigene Freiheit zu entdecken. Kritik ist in jedem Falle eine Grenzhaltung, doch kann ich mich an der Grenze aufhalten, nicht nur, um anzuprangern, wenn andere oder sogar ich selbst sie überschreiten, sondern auch gerade, um zu entdecken, wo sie überschritten – und wo sie durch die Überschreitung oder auch nur durch die Entdeckung ihrer Überschreitbarkeit und also ihrer Kontingenz geöffnet und verschoben und somit neue Räume für das Leben geschaffen werden können. Ich hatte dies ausführlicher als in der vorliegenden Hausarbeit bereits einige Jahre zuvor in meiner Hausarbeit über Foucault behandelt; es könnte für den Leser lohnend sein, zuerst diese zu studieren, bevor er sich dem vorliegenden Text widmet; nötig ist es aber nicht, der Text kann durchaus auch auf eigenen Füßen stehen, und auch der Dozent, bei dem ich ihn einreichte, kannte ja meine frühere Hausarbeit nicht. Es bleibt aber immer eine merkwürdige Fügung des Schicksals, dass ich an dieser Arbeit schrieb, gerade als Greta Thunberg, mir damals noch unbekannt, ihren Protest begonnen hatte und eben ihre erste Klimakonferenz besuchte und rasch an Aufmerksamkeit zugewann – wo wäre in unserer Gegenwart ein besseres Beispiel für positive Kritik in unserer Welt, für Transformation statt Revolution, dafür, wie der Mensch, statt das, was ihn angeblich angreift, seinerseits anzugreifen und zu zerstören, seine Freiheit entdecken und sich selbst machen kann?

 

„[D]er unbestimmten Arbeit der Freiheit einen neuen Impuls […] geben“ – Ulenspiegels Schwänke als positive Gesellschaftskritik