Oder der Kandidat begehrte bloß in der Philosophie das Meistertum; so würde er in Absicht des Thema sowohl, als der Prüfung, auf den ersten Anblick lediglich der philosophischen Klasse anheimfallen, und die Empirie an ihn keine Ansprüche haben. Da inzwischen die Philosophie gar keinen eigentlichen Stoff hat, sondern nur das allen Stoff der Wissenschaft und des Lebens in Klarheit und Besonnenheit auflösende Mittel ist; und derjenige, der sich für einen großen Philosophen ausgäbe, dabei aber bekennte, daß er weder etwas anderes gelernt, vermittelst dessen, als eines Mittelgliedes, er seinen philosophischen Geist ins Leben einzuführen vermöchte, noch auch seine Philosophie unmittelbar von sich zu geben und sie andern mitzuteilen verstände, ohne Zweifel der Gesellschaft völlig unbrauchbar und keinesweges ein Künstler, sondern ein totes Stück Gut sein würde; so muß der, der sich auf die Philosophie beschränkt, wenigstens sein Vermögen, sie mitzuteilen und einen kunstmäßigen Lehrer in derselben abzugeben, dokumentieren. Und so kann keiner als Meister in der Philosophie anerkannt werden, der sich nicht auch zugleich als Doktor derselben bewährt hat. Nun ist es ferner gar nicht hinlänglich, daß er in dieser Fertigkeit des Vortrages seiner Klasse genüge; er soll auch Nichtphilosophen, dergleichen ja, wenn er das Lehramt einst im Ernste verwaltet, alle seine Lehrlinge anfangs sein werden, verständlich werden können; und so fällt denn in dieser Rücksicht das Endurteil von seiner eigenen Klasse an die empirischen Klassen insgesamt, die es durch aus ihrer Mitte ernannte Stellvertreter verwalten können. Hier also entscheidet umgekehrt die philosophische Klasse über die Richtigkeit des Inhalts, als Resultat der erlernten Kunst, die Gesetze des Denkens im Philosophieren frei zu befolgen, die empirischen über die Gewandtheit und Klarheit in dieser Kunst, die er durch den Vortrag darlegt. Mögen diese immerhin über das Vorgetragene kein Urteil haben; der Vortrag selbst wenigstens muß ihnen als meistermäßig einleuchten. – Es werden darum diejenigen, welche um das Meistertum in der Philosophie nachzusuchen gedenken, sich schon früher in dem Lehrerseminarium geübt haben, da der philosophische Vortrag ohnedies der vollkommenste und das Vorbild alles andern Vortrages bleiben muß, und darüber an unsrer Kunstschule alles Ernstes zu halten ist.

 

Johann Gottlieb Fichte: Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden Lehranstalt. Zweiter Abschnitt. § 44.