Viele Menschen denken nicht, sie dünkeln nur. Was sie ihr Denken nennen, das ist ein undifferenzierter Mischmasch aus wilden Vorstellungen, denen es an echter Anschauung fehlt, Vorurteilen, so unhinterfragt, dass sie nicht einmal als solche erkannt, sondern schlicht als Selbstverständlichkeiten behandelt werden, gesetzloser Einbildungskraft, die wilde Sprünge macht, geleitet von unbewusster Assoziation, und Fetzen von blind angewandten oberflächlichen Kenntnissen, hier oder dort einmal aufgeschnappt, die kein organisches Ganzes bilden, ja einander oft genug widersprechen, auch ohne Konsequenz für Leben und Handeln bleiben. Dieses Dünkeln ist nicht geleitet von Vernunft, sondern von der Natur, d. h. Neigung und Trieb lenken es und bestimmen allzu oft seine Ergebnisse. Die Frucht des Dünkelns ist nicht Wahrheit, sondern Meinung.

Was der Denker in seinem Verstande bewegt und entwickelt, das sind Gedanken. Der Dünkler hat keine Gedanken, was er dafür hält – sind lediglich Gedünkel.

Diese meine Wortschöpfung beginnt mit der im Deutschen häufigen Vorsilbe Ge-. Vor ein Nomen gestellt kann sie ein Kollektivum bezeichnen: Anders als der Plural drückt dies nicht aus, dass es sich um eine Menge von Einzelgegenständen handelt, von denen doch jeder für sich von den anderen abgegrenzt ist, sondern hier verlieren die Teile gerade ihre Eigenständigkeit, sie werden zu einer größeren Einheit zusammengefasst, in der sie aufgehen und die somit ihrerseits wiederum ein Einzelnes ist. So ist ein Gebirge eine Formation von mehreren Bergen, ein Gehölz besteht aus mehreren Hölzern (d. i. Bäumen), so wie ein Gebüsch aus mehreren Büschen besteht oder das Geäst eines Baumes die Summe all seiner einzelnen Äste umfasst, das Getier ist ein Haufen aus allerlei unbestimmten Tieren und die Gebeine eines Menschen sind all seine Knochen, d. h. sein Skelett (Bein ist ursprünglich der Knochen, weshalb das Wort auch noch in den Namen mehrerer Knochen vorkommt, etwa dem des Schlüssel- oder des Nasenbeins, es entstammt derselben Wurzel wie das englische bone). Das Wort Gedanke fasst also mehrere einzelne intellektuelle Vorgänge, mehrere Denken, zu Einem zusammen. (Die Sprache ist hier also weit reflektierter, als der Alltagsmensch es ist, der sich bei einem Gedanken nicht viel denkt, der vielmehr tut, als handelte es sich da um einen isolierbaren und in sich wiederum geschlossenen einfachen Gegenstand, ein geistiges Atom gewissermaßen, und der vergisst, dass selbst Atome sich noch spalten lassen. Auch die Psychologie hat wenig getan, je genauer zu untersuchen, was eigentlich ein Gedanke ist, wenigstens wenn man hierunter die anerkannte Schulpsychologie versteht und große Psychologen wie etwa Nietzsche ausnimmt. Es weiß daher für gewöhnlich höchstens der Philosoph – nicht der Philosophologe; an keiner Universität lernt man heute derlei –, dass ein Gedanke, weit entfernt davon, etwas Einfaches und Unteilbares zu sein, als Kollektivum ganz richtig bezeichnet ist, dass da Anschauungen, Begriffe, Urteile und Schlüsse, auch Affekte zusammenkommen.) Im gleichen Sinne möchte ich den Gedünkel, diesen Pseudogedanken, verstanden wissen: als etwas einfach erscheinendes, in Wahrheit Hochkomplexes und aus vielen Dünkeln Zusammengesetztes.