„Das Recht zur freien Meinungsäußerung und Kritik hast du mit Maulaufreißen und Schlechte-Witze-Reißen verwechselt. Du willst kritisieren, aber nicht kritisiert werden, und deshalb wirst du zerrissen und zerschossen. Es ist dir eigen, angreifen zu wollen, ohne dich einem Angriff auszusetzen. Deshalb schießt du stets aus dem Hinterhalt.“
Wilhelm Reich: Rede an den kleinen Mann
„Ich glaube, wir unterschätzen manchmal, wie sehr Gespräche und Zuhören helfen können in Konflikten. Natürlich: Es gibt nach wie vor zahlreiche Bedrohungen von außen, Terrorgruppen, Kriege. Aus meiner Sicht liegt die größte Bedrohung aber heute in unserer Gesellschaft selbst.
[…]
Ich erlebe, dass immer weniger Menschen fähig sind, miteinander zu reden. Umso leichter ist es online, Desinformationen zu verbreiten, Ängste zu schüren und so zu spalten. Solche Mechanismen sind von außen kaum zu stoppen. Das kann nicht einmal die CIA bekämpfen. Das liegt an jedem Einzelnen.“
Amaryllis Fox: Im Interview mit dem Spiegel vom 5.12.2019 „Ich saß oft mit Personen zusammen, die als Monster galten.“
Nachdem ich unlängst im Rahmen meiner Serie Fridays for Aufklärung eine andere Diskussionskultur – oder, ehrlicher gesprochen: überhaupt eine Diskussionskultur – einforderte, erscheint es mir sinnvoll, diese meine Forderung noch deutlicher zu illustrieren.
Eine Vielzahl von Menschen, darüber sprach ich, ist unfähig und nicht willens, ein Gespräch zu führen. Sie sagen wohl ungefragt ihre Meinungen, als wären Meinungen etwas, dem ein Wert zukäme und das gehört zu werden verdiente, aber sie sind nicht bereit, über diese Meinungen zu sprechen: Widerspricht ihnen jemand, setzt er ihnen auseinander, weshalb ihre Meinungen falsch sind, so tun sie nicht, was einzig zu tun ihnen zustünde: sie ändern entweder ihre Meinung oder sie widerlegen wiederum das Argument, mit dem diese Meinung angegriffen wurde. Stattdessen wiederholen sie plump ihre Meinung, als wäre auf diese gar nicht reagiert worden, als hätte es keinen Widerspruch gegeben. Im äußersten Falle werden sie ein Gespräch wenigstens simulieren, werden zu antworten scheinen, aber doch auf nichts, was man ihnen sagt, recht eingehen. In anderen Fällen schämen sie sich nicht, sich ganz aus dem Gespräch zurückzuziehen.
Ich will deutlich zeigen, wovon ich spreche. Zu diesem Ende mögen einige Auseinandersetzungen dienen, die ich in jüngerer Zeit auf YouTube hatte und die ich hier wiedergeben möchte. Sie sollen verschiedene Stufen der Gesprächsverweigerung illustrieren; zugleich werden sie zeigen, dass diese Haltung – die Missachtung des anderen und auch seiner selbst, die Verweigerung eines Dialogs, die Unberührbarkeit gegenüber der vernünftigsten und wohlbegründetsten Rede – nicht etwa auf ein bestimmtes Milieu, auf gewisse Grüppchen beschränkt, sondern dass sie eine allgemein verbreitete Seuche ist, der man bei allen politischen Grüppchen begegnen kann (woraus zugleich folgt, dass die vermeintlich großen Differenzen dieser Grüppchen sehr unwesentlich sind und dass, wer die Dinge unter den Menschen ändern und bessern will, nicht der ohnehin undankbaren und mühseligen Arbeit nachhängen muss, ihre oberflächlichen Meinungen zu bearbeiten, um sie von der einen politischen Sekte in die andere hinüberzuziehen – nein, er muss ihr Wesen, ihren Umgang mit sich und ihren Mitmenschen wandeln, muss sie also aufklären).