Es erscheint mir treffend, den ersten Beitrag zu dieser Rubrik gerade jenem Aufgeklärten zu widmen, das derzeit die größte Aufmerksamkeit erfährt: Greta Thunberg und dem durch sie angestoßenen Schülerprotest. Ich kann, da ich mich anschicke, zu diesem Gegenstand zu schreiben, nicht umhin, an Nietzsche zu denken, an dessen Kritik an der Historie, am Journalismus und daran, wie heute alles seziert wird, noch während es atmet, und eben daran sterben muss, wie heute das Kritisieren, das Deuteln, das Katalogisieren beginnt, noch ehe das Ereignis vollendet ist:

„Was man am Christenthume lernen kann, dass es unter der Wirkung einer historisirenden Behandlung blasirt und unnatürlich geworden ist, bis endlich eine vollkommen historische, das heisst gerechte Behandlung es in reines Wissen um das Christenthum auflöst und dadurch vernichtet, das kann man an allem, was Leben hat, studiren: dass es aufhört zu leben, wenn es zu Ende secirt ist und schmerzlich krankhaft lebt, wenn man anfängt an ihm die historischen Secirübungen zu machen. Es giebt Menschen, die an eine umwälzende und reformirende Heilkraft der deutschen Musik unter Deutschen glauben: sie empfinden es mit Zorne und halten es für ein Unrecht, begangen am Lebendigsten unserer Cultur, wenn solche Männer wie Mozart und Beethoven bereits jetzt mit dem ganzen gelehrten Wust des Biographischen überschüttet und mit dem Foltersystem historischer Kritik zu Antworten auf tausend zudringliche Fragen gezwungen werden. Wird nicht dadurch das in seinen lebendigen Wirkungen noch gar nicht Erschöpfte zur Unzeit abgethan oder mindestens gelähmt, dass man die Neubegierde auf zahllose Mikrologien des Lebens und der Werke richtet und Erkenntniss-Probleme dort sucht, wo man lernen sollte zu leben und alle Probleme zu vergessen. Versetzt nur ein Paar solcher modernen Biographen in Gedanken an die Geburtsstätte des Christenthums oder der lutherischen Reformation; ihre nüchterne pragmatisirende Neubegier hätte gerade ausgereicht, um jede geisterhafte actio in distans unmöglich zu machen: wie das elendeste Thier die Entstehung der mächtigsten Eiche verhindern kann, dadurch dass es die Eichel verschluckt. Alles Lebendige braucht um sich eine Atmosphäre, einen geheimnissvollen Dunstkreis; wenn man ihm diese Hülle nimmt, wenn man eine Religion, eine Kunst, ein Genie verurtheilt, als Gestirn ohne Atmosphäre zu kreisen: so soll man sich über das schnelle Verdorren, Hart- und Unfruchtbarwerden nicht mehr wundern. So ist es nun einmal bei allen grossen Dingen,
‚die nie ohn’ ein’gen Wahn gelingen‘,
wie Hans Sachs in den Meistersingern sagt.“¹ – Ich denke an Nietzsches Warnung, dass die große Tat heute kaum noch vollbracht werden kann, da wir über sie zu räsonnieren beginnen, noch ehe sie getan wurde. Und es liegt nahe, an dieses gerade bei jenem Gegenstand zu denken, den ich mir hier gewählt habe.

Man muss sich die ganze groteske Situation nur besonnen vor Augen halten: Da zerstören wir in einem gewaltigen Ausmaß unseren Planeten und unsere Lebensgrundlage, nehmen allen Jungen und Ungeborenen die Zukunft, und obwohl seit Jahren hinlänglich bekannt ist, wie groß die Not ist, obwohl sie gerade in der jüngsten Vergangenheit überall auf der Erde immer deutlicher zu sehen ist, obwohl jedes neuerliche Hinschauen der Klimaforscher zeigt: es ist noch weit schlimmer, als gedacht, – geschieht nichts. Die Medien sind auf Auflagen und Einschaltquoten aus und treiben alle paar Wochen eine neue unbedeutende Sau durchs Dorf, anstatt ihrer Verantwortung nachzukommen und als vierte Gewalt ein ernsthaftes Gegengewicht zur Politik zu bilden. Jene wiederum ist mit sich selbst und der eigenen Profilierung beschäftigt und kann nicht weiter als bis zur nächsten Wahl schauen, auch hier wird verantwortungslos Tagesskandälchen an Tagesskandälchen gereiht, es wird getwittert und sich künstlich in Talkshows aufgeregt, nur regiert wird nicht. Und zahllose Menschen ignorieren die über uns hereinbrechende Katastrophe, tun „öko sein“, wie sie es nennen, als Spinnerei ab und geraten in Raserei, wenn ihre Lebensweise auch nur im Kleinsten in Frage gestellt wird, es wird abgewiegelt und relativiert und viele halten sich für ganz besonders klug und aufgeklärt, wenn sie tun, als wäre alles nicht so schlimm oder als ginge sie alles nichts an, oder wenn sie davon reden, Maßnahmen bräuchten ihre Zeit, in der Demokratie gehe es um Kompromisse und dergleichen Ausweichtaktiken mehr, die in erster Linie nicht klug, sondern schlicht feige sind. Thunberg selbst fasste diese Lage folgendermaßen zusammen: „I remember thinking [als sie mit acht Jahren erstmals von der Zerstörung der Umwelt erfuhr] that it was very strange that humans, who are an animal species among others, could be capable of changing the Earth’s climate. Because, if we were, and if it was really happening, we wouldn’t be talking about anything else. As soon as you turn on the TV, everything would be about that. Headlines, radio, newspapers: You would never read or hear about anything else. As if there was a world war going on, but no one ever talked about it. [Es ist einer im Gange. Ein wahrhafter Weltkrieg, ein Krieg gegen die Welt, ein Krieg des Menschen gegen die Natur, gegen den unsere beiden Weltkriege ein Nichts waren.] If burning fossil fuels was so bad that it threatened our very existence, how could we just continue like before? Why were there no restrictions? Why wasn’t it made illegal?“² In dieser Situation, angesichts der verbrecherischen Verantwortungslosigkeit der Ausgewachsenen, die es durchaus rechtfertigen würde, ihnen allen die Mündigkeit zu entziehen, die sie ja offensichtlich nicht besitzen, fühlt sich ein Kind genötigt, zu protestieren, die Schule zu schwänzen, um ein Zeichen zu setzen, weil die Politik ihre Arbeit nicht macht und das nicht tut, was allein ihre Macht überhaupt legitimieren kann: Die Menschenrechte wahren. Ein Zeichen, das Medien und vor allem Bürger aufrütteln sollte: „For 25 years countless of people have stood in front of the United Nations climate conferences, asking our nation’s leaders to stop the emissions. But, clearly, this has not worked since the emissions just continue to rise. So I will not ask them anything. Instead, I will ask the media to start treating the crisis as a crisis. Instead, I will ask the people around the world to realize that our political leaders have failed us. Because we are facing an existential threat and there is no time to continue down this road of madness.“³ Dieses aufrechte und mutige Kind fährt dann zum Weltwirtschatsforum in Davos mit dem Zug und nimmt eine Fahrt von mehr als einem Tag auf sich, während zu demselben Gipfel über 1500 Privatjets anreisen – aber anstatt sie für ihre Prinzipien und ihre Aufrichtigkeit zu bewundern oder gar über die eigentliche Sache zu sprechen, über jene Krise nämlich, auf die sie aufmerksam macht, schimpfen Menschen, von denen man getrost annehmen darf, dass ihnen beides, Aufrichtigkeit wie auch Prinzipien, abgeht, dass sie während der Zugfahrt Brot aus einer Plastikverpackung isst. (Wer strebt, der kann hinter seinem Ideale zurückbleiben, ja er wird dies immer notwendig, denn es macht ein Ideal aus, dass es unerreichbar ist und dass der Mensch sich ihm stets nur annähern kann. Wer überhaupt kein Ideal hat und gar nicht strebt, dem kann dies freilich nicht geschehen. Jene, die dieser Art gegen Thunberg wettern, versäumen es zumeist, zu erwähnen, dass sie selbst nicht nur ebenfalls Brot aus Plastikverpackungen essen, sondern auch niemals eine mehr als dreißigstündige Zugreise unternehmen würden, wenn sie auch bequem mit dem Flugzeug fliegen könnten.) Und während ich diese Zeilen schreibe, befindet sich jenes aufrechte und mutige Mädchen auf hoher See, auf dem Weg zum UN-Klimagipfel in den USA, weil es lieber eine unkomfortable zweiwöchige Schiffsreise auf sich nimmt, als zu fliegen. Aber abermals neigt man nicht das Haupt vor solcher Konsequenz, schon gar nicht nimmt man dies zum Anlass, die eigene Freiheit zu entdecken und sich nicht mehr hinter selbsterrichteten Wänden zu verstecken, am allerwenigsten redet man, statt über die Botschafterin über die Botschaft, statt über Thunberg über die Klimakatastrophe, der endlich begegnet werden muss: Stattdessen hat die taz „aufgedeckt“ – wahrlich ein Bravourstück investigativen Journalismus! –, wie klimaschädlich Thunbergs Reise ist, weil zum Zurücksegeln des Boots mehrere Menschen über den Atlantik fliegen werden. (Und als das Boot in See stach, war ein ganzer Haufen Journalisten anwesend. Die sind auch irgendwie angereist und haben dabei CO2 verursacht. Das könnte man Thunberg auch noch anlasten. Und wenn man schon dabei ist, auch die Klimabilanz jedes Twitterposts, der ihr und ihrem Protest gilt.) Eine Schreiberin bei der taz fragt nun überheblich, was denn Thunbergs Segeltörn überhaupt bezwecken solle, ob man uns sagen wolle, künftig sollten hunderttausende Boote die Menschen anstelle von Flugzeugen über den Atlantik transportieren, „albern“ nennt sie das. (Dass es gerade die taz ist, die zuerst solches druckte, nicht etwa die Bild oder die Welt, das will sehr vieles besagen. Man mag in dieser Zeitung fein gendern, man mag sich auf die Fahne schreiben, man „artikuliert insbesondere die Stimmen, die gegenüber den Mächtigen kein Gehör finden“⁴, aber ein über hübsche Worte und belanglosen Anstand hinausgehendes Interesse am Guten ist kaum zu beobachten. (Diese Zeitung und just die oberwähnte Schreiberin machten mir gegenüber schon vor drei Jahren deutlich, dass sie sich weder für die rechtsfeindlichen Klüngel und Intrigen der neuköllner Bürgermeisterin noch für das Wohl und die Menschenwürde von Schülern interessierten.) So ist es nicht nur bei diesem Blatte, so ist es bei den Anständigen überhaupt. Dank Thunberg können wir heute sehr gut den Unterschied zwischen diesen und den Sittlichen beobachten: Der Anständige erhält die bestehende Ordnung, der Sittliche stürzt sie gerade um, um eine bessere zu errichten. Deshalb bekämpfen ihn die Menschen, die an jener Ordnung hängen, instinktiv – und dies schließt die Anständigen notwendig ein, denn deren Anstand besteht ja gerade, wie soeben geschrieben, im Aufrechterhalten jener Ordnung. Wer Anstand hat, wer irgendwie links und grün ist, der wird den Sittlichen weniger plump bekämpfen als der rechte Mob, ihm wird nicht gleich der Schaum dabei vor den Mund treten. Lieber wird er kleinreden, relativieren, klug sein, die Stimme der Nüchternheit und des Pragmatismus (aber gewiss nicht die der Vernunft; was diese über ihn zu sagen hat, das sagt sie hier ja gerade) spielen. Leute wie die genannten Schreiber bei der taz mögen von sich meinen, für Umweltschutz zu sein, sie mögen auch tatsächlich die Grünen wählen und im Bioladen einkaufen. Dennoch verwenden sie offenbar, wenn auch ohne eine bewusste Absicht, einen großen Teil ihrer Energie darauf, Thunberg und damit ihre Sache zu torpedieren und dem Publikum auf alle erdenkliche Weise einzureden, diese junge Frau sei doch nicht groß. (Es sind nicht allein Journalisten, die solches tun, es ist bei diesen nur besonders widerlich, denn sie erweisen sich hierdurch als Parasiten. Ich weiß, dass sich manche, wiederum sehr anständige, Leute über diesen Ausdruck empören werden. Parasit, so bezeichnet man einen Menschen nicht! Nun, ich bezeichne so ein Geschöpf, das sich auf Kosten eines anderen nährt und dabei diesem nicht wiederum etwas zurückgibt – dies wäre eine Symbiose – sondern ihm nur schadet. Eben das tut jeder Schmierfink, der darauf baut, dass der Name Thunberg im Titel eines Artikels ihm einige Klicks einbringen wird, der dann aber beschließt, ein kleinkariertes Geabere zu verfassen, statt etwa einen Artikel darüber, wie die Menschen von Thunberg das Freisein und den Mut lernen könnten – oder wahlweise darüber, dass sie sich schämen sollten, es so weit kommen gelassen zu haben, dass ein kleines Mädchen den Ozean überqueren muss, um seine Zukunft einzufordern.))

– Dies war mehr Exkurs als zur Sache geredet; ich sprach soeben mehr von der Unaufgeklärtheit als, wie es in dieser Rubrik geschehen soll, von der Aufgeklärtheit. Mir schien es wichtig, einmal die Mahnungen Nietzsches wieder laut werden zu lassen und an die Gefahren zu erinnern, die darin liegen, vom Großen zu sprechen, noch während es geschieht und wirken sollte, nicht zerredet werden. Aber die Betrachtung, die ich anstellen möchte, ist nicht das übliche Gemeine der Journaille, sie hemmt das Große nicht, denn sie ordnet es nur insofern ein, als sie eben seine Größe benennt. Sie fördert es damit gar und gerade heute, da die Menschen an das Große nicht mehr glauben und just durch diesen ihren Unglauben die Wunder verhindern, möchte es sogar nötig sein, dass, noch während es geschieht, einmal Einer aufsteht und hindeutet und ruft: „Sehet, ein Wunder!“ „Gleiches aber wird nur von Gleichem erkannt“⁵ und „[e]s ist ein Aberglaube, daß die Herrschaft dieser Geister“ – der großen Genien nämlich – „zu Recht bestehe durch die Souveränität der Masse: sie selbst haben sich berufen, wie sich jene sieben Weisen des Alterthums berufen haben, indem jeder Einzelne die Ehre der goldenen Schale und den Pokal des weisesten Sterblichen einem Anderen zuerkannte, bis der Kreis sich schloß, nach dem allgültigen Grundsatz: weise muß man sein, um den Weisen zu erkennen.“⁶ Wer also sollte dies Geschäft, das Wunder zu benennen und zu beschreiben, übernehmen, wenn ich es nicht täte? (Ich weiß wohl, dass mancher sich, abgesehen davon, dass er mir persönlich Selbstüberschätzung vorwerfen wird, schon an diesem Worte stören wird. Es kommt dies von eben jenem Mangel des Glaubens an das Große, von dem ich sprach. Ich weiß, dass mancher den Kopf schütteln wird über das, was ich über Thunberg sagen werde, auch mancher, der Sympathien für sie und ihr Anliegen aufbringt, dass mancher tönen wird, ich solle doch dies Kind nicht derart überhöhen und nicht vergessen, dass sie eben ein Kind sei. Und erst jene, die nicht mit Thunberg sympathisieren! Die werden wieder wettern, da wolle sie jemand zur Heilsbringerin stilisieren, das wäre ja alles ganz unvernünftig! Ich bin aber kein vergesslicher Mensch, sondern trage bei meinem Schreiben wahrscheinlich sehr viel mehr in meinem Bewusstsein als jene Kritiker. Und an Heilsbringer glaube ich als Aufklärer nicht, sondern weiß, dass die Menschen sich ihr Heil selbst bringen müssen. – Womit alle Kritik dieser Art sogleich als gegenstandslos abgetan wäre.)

Hierdurch rechtfertigt sich denn auch, dass ich hier, unter den Aufgeklärtheiten über Thunberg sprechen will: Die meisten Beiträge zu dieser Kategorie werden weniger Bekanntes vorstellen. Von Thunberg und von Fridays for Future wird hingegen jeder Kenntnis haben, der überhaupt von öffentlichen Geschehnissen Kenntnis nimmt. Aber bloße Kenntnis ist noch kein tieferes Begreifen. Und nicht überhaupt über diesen Menschen und diesen Protest möchte ich sprechen, sondern ich möchte gerade auf das Aufgeklärte und das Aufklärerische, das hier wirksam ist, das Augenmerk lenken. Kommentare, Meinungsäußerungen, Analysen zu diesem Ereignis liest man jetzt sicherlich allenthalben. Aber nirgends fand ich es bisher als wahrhaftes Ereignis besprochen. Selbstungeklärte Menschen sind ganz im Moment gefangen, sind fixiert auf augenblickliche politische Fragen, die mit diesem Protest einhergehen, haben nur die unmittelbare Bedrohung durch den Klimawandel vor Augen und bringen es daher, je nach persönlicher Ideologie, über oberflächliche Schimpftiraden oder über gleichermaßen oberflächliche Lobsprüche nicht hinaus, schauen aber nicht mit Besonnenheit einmal an, was sie hier vor sich haben. Solche Menschen erachteten die Französische Revolution für eine Revolte, die vielleicht diese oder jene kleine Änderung herbeiführen mochte; sie sahen in der Wahl Hitlers eine Wahl wie jede andere auch, vielleicht den Aufstieg eines Diktators, aber wiederum eines solchen, wie es sie in halb Europa bereits gab; was wahrhaft bedeutsam war, das mussten sich solche jederzeit nachträglich von den Geschichtsbüchern sagen lassen (sofern es denn in diesen stand; oft genug steht es nicht dort, denn welche Philosophiegeschichte beispielsweise spricht heute die klar am Tage liegende Wahrheit aus, dass die Wissenschaftslehre das größte Ereignis dieser Geschichte war und dass sie eines Folgereignisses seither umsonst geharrt hat?). In dem Maße, da der Mensch sich aufklärt, wird er erst fähig, ein Ereignis als solches zu fassen.

Ich will unter dem Aspekt der Aufklärung über Thunberg sprechen. (– Über Thunberg, nicht über Greta. Greta, so mögen sie ihre Mitstreiter, so mögen sie die protestierenden Schüler unter sich nennen oder auch ansprechen, wenn sie mit ihr reden. Aber wer, selbst keiner derselben und kein Teil von Fridays for Future, öffentlich über sie redet, von dem geziemt es sich, dass er ihren Nachnamen gebraucht. Dass dies so oft nicht geschieht, das ist ein Zeichen mangelnden Respekts, darin zeigt sich nur die selbstverständliche Missachtung, die man in unserer Gesellschaft Kindern und Jugendlichen entgegenbringt, welche man nicht im selben Maße ernst nimmt und nicht auf dieselbe Weise behandelt wie Erwachsene: Denn es ist gewiss, dass Thunberg, wenn sie nur einige Jahre älter wäre, in der Öffentlichkeit, in den Zeitungen, in privaten Gesprächen usw. auch so und nicht bei ihrem Vornamen genannt würde. Die protestierenden Schüler täten gut daran, auf dieser Formalie zu bestehen, und Der wäre sehr unverständig, der hierin nur eine solche und eine bloße Pedanterie zu sehen vermöchte.) Es gibt viererlei, das mir an Thunberg und ihrem Protest einer Betrachtung wert scheint, wenn es bei dieser Betrachtung gerade um Aufklärung gehen soll: Da ist einmal das Individuum Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg in seinem Umgang mit dem Leben und seinen Anliegen. Dann ist da jenes Anliegen selbst, ist da Thunbergs Protest und die Weise, wie sie diesen führt. Da ist zum dritten die auf Thunbergs Beispiel hin entstandene Bewegung Fridays for Future. Und schließlich ist da das Ereignis Thunberg, ist da die Rolle, die sie für die Menschheit spielt. Über alle vier Punkte will ich sprechen, wobei ich sie alle vier scharf voneinander scheiden will und hoffe, dass auch meine Leser hierzu fähig sein werden. Da diese vier Betrachtungen zusammen einen Umfang erreichen werden, der über den eines gewöhnlichen Beitrags, wie ich sie hier veröffentlichen will, deutlich hinausgehen wird, werde ich hier gleich zu Beginn abweichen von dem, was ich ansonsten für diese Rubrik vorgesehen habe, und werde einen Gegenstand nicht in einem einzigen Beitrag abhandeln, sondern auf mehrere Beiträge aufteilen.

1 Friedrich Wilhelm Nietzsche: Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben. 7.

2 „Ich erinnere mich, dass ich dachte [als sie mit acht Jahren erstmals von der Zerstörung der Umwelt erfuhr], dass es sehr seltsam sei, dass Menschen, die doch eine Tierart unter anderen sind, fähig sein sollten, das Klima der Erde zu verändern. Denn, wenn wir das wären und wenn es tatsächlich passierte, würden wir doch über nichts anderes reden. Sobald man den Fernseher einschalten würde, würde sich alles darum drehen. Schlagzeilen, Radio, Zeitungen: Man würde niemals von irgendetwas anderem lesen oder hören. Als ob ein Weltkrieg im Gange wäre, aber niemand jemals darüber spräche. [Es ist einer im Gange. Ein wahrhafter Weltkrieg, ein Krieg gegen die Welt, ein Krieg des Menschen gegen die Natur, gegen den unsere beiden Weltkriege ein Nichts waren.] Wenn fossile Brennstoffe zu verbrennen so schlimm war, dass es unsere Existenz bedrohte, wie konnten wir dann einfach weitermachen wie bisher? Warum gab es keine Beschränkungen? Warum wurde es nicht für illegal erklärt?“ (Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg: TEDx talk vom 24.11.2018.)

3 „25 Jahre lang haben zahllose Menschen vor der Klimakonferenz der Vereinten Nationen gestanden und die Führer unserer Nationen ersucht, die Emissionen zu stoppen. Aber das hat offensichtlich nicht geklappt, denn die Emissionen fahren einfach fort, anzusteigen. Deshalb werde ich sie um nichts ersuchen. Stattdessen werde ich die Medien ersuchen, anzufangen, diese Krise wie eine Krise zu behandeln. Stattdessen werde ich die Menschen rund um die Welt ersuchen, zu erkennen, dass unsere politischen Führer uns im Stich gelassen haben. Denn wir stehen einer existentiellen Bedrohung gegenüber und es ist keine Zeit mehr, diesen Weg des Wahnsinns weiterzugehen.“ (Greta Tintin Eleonora Ernman Thunberg: 3.12.2018 beim Treffen mit dem UN-Generalsekretär.)

4 Die Tageszeitung: §2 Abs. 3 Redaktionsstatut.

5 Friedrich Wilhelm Nietzsche: Zwei öffentliche Vorträge über die griechische Tragödie. Zweiter Vortrag. Socrates und die Tragödie.

6 Friedrich Wilhelm Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1869 2[19].