Man wird erschrecken eine so fürchterliche Strafruthe der Menschen von der Seite der Nutzbarkeit angepriesen zu sehen. Ich bin gewiß, man würde gerne Verzicht darauf thun, um nur der Furcht und der Gefahren überhoben zu sein, die damit verbunden sind. So sind wir Menschen geartet. Nachdem wir einen widerrechtlichen Anspruch auf alle Annehmlichkeit des Lebens gemacht haben, so wollen wir keine Vortheile mit Unkosten erkaufen. Wir verlangen, der Erdboden soll so beschaffen sein: daß man wünschen könnte darauf ewig zu wohnen. Über dieses bilden wir uns ein, daß wir alles zu unserm Vortheil besser regieren würden, wenn die Vorsehung uns darüber unsere Stimme abgefragt hätte. So wünschen wir z. E. den Regen in unserer Gewalt zu haben, damit wir ihn nach unserer Beqümlichkeit das Jahr über vertheilen könnten und immer angenehme Tage zwischen den trüben zu genießen hätten. Aber wir vergessen die Brunnen, die wir gleichwohl nicht entbehren könnten, und die doch auf solche Art gar nicht würden unterhalten werden. Eben so wissen wir den Nutzen nicht, den uns eben die Ursachen verschaffen könnten, die uns in den Erdbeben erschrecken, und wollten sie doch gerne verbannt wissen.

Als Menschen, die geboren waren, um zu sterben, können wir es nicht vertragen, daß einige im Erdbeben gestorben sind, und als die hier Fremdlinge sind und kein Eigentum besitzen, sind wir untröstlich, daß Güter verloren worden, die in kurzem durch den allgemeinen Weg der Natur von selbst wären verlassen worden.

Es läßt sich leicht rathen: daß, wenn Menschen auf einem Grunde bauen, der mit entzündbaren Materien angefüllt ist, über kurz oder lang die ganze Pracht ihrer Gebäude durch Erschütterungen über den Haufen fallen könne; aber muß man denn darum über die Wege der Vorsehung ungeduldig werden? Wäre es nicht besser also zu urtheilen: Es war nöthig, daß Erdbeben bisweilen auf dem Erdboden geschähen, aber es war nicht nothwendig, daß wir prächtige Wohnplätze darüber erbauten? Die Einwohner in Peru wohnen in Häusern, die nur in geringer Höhe gemaürt sind, und das übrige besteht aus Rohr. Der Mensch muß sich in die Natur schicken lernen, aber er will, daß sie sich in ihn schicken soll.

Was auch die Ursache der Erdbeben den Menschen auf einer Seite jemals für Schaden erweckt hat, das kann sie ihm leichtlich auf der andern Seite mit Gewinst ersetzen. Wir wissen, daß die warme Bäder, die vielleicht einem beträchtlichen Theil der Menschen zur Beförderung der Gesundheit in der Folge der Zeiten können dienlich gewesen sein, durch eben dieselbe Ursachen ihre mineralische Eigenschaft und Hitze haben, wodurch die Erhitzungen in dem Innern der Erde vorgehen, welche diese in Bewegung setzen.

 

Immanuel Kant: Geschichte und Naturbeschreibung der merkwürdigsten Vorfälle des Erdbebens, welches an dem Ende des 1755sten Jahres einen großen Teil der Erde erschüttert hat. Von dem Nutzen der Erdbeben.