Kant hat, wie die meisten Philosophen, keine eigentlich methodologische Schrift verfasst. Am ehesten finden sich Hinweise zur Methode in seiner Philosophischen Enzyklopädie. In seiner Logik. Und in den Vorlesungen zur Logik. Aber auch verstreut in anderen, vornehmlich theoretischen Schriften. Die beste Empfehlung, die ich demjenigen geben kann, der vor allem an einer Methodik interessiert ist, ist aber ohnehin, nicht allein eine Theorie von der Methode zu verlangen, sondern die Methode in ihrer Anwendung kennenzulernen.
Als Beispiel für Kants Verwendung der teilnehmenden Methode können sein Erstlingswerk Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und Beurteilung der Beweise, deren sich Herr von Leibnitz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedienet haben. und seine kurzen Aufsätze Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie und Ausgleichung eines auf Missverstand beruhenden mathematischen Streits herhalten. Gerade die ersten beiden Schriften, in denen es zum einen um physikalische, zum anderen um biologische Fragen geht, mag man heute nicht mehr ihres naturwissenschaftlichen Gehalts wegen studieren, sie sind aber zum Verständnis Kants und seiner Methode noch immer sehr lesenswert, denn gerade hier entwirft er nicht einfach ein philosophisches System, sondern setzt sich mit Gegenpositionen auseinander, und man kann daher gut nachvollziehen, auf welche Weise er dies tut.
Absoluter Irrtum ist nicht möglich, denn was absolut falsch wäre, könnte niemand für wahr halten. Jede Position muss daher wenigstens eine partiale Wahrheit enthalten. Kants Denken war getragen von der Anteilnahme für seine Mitmenschen, auch in ihren Irrungen. Wer widersprach, war ihm kein Gegner, sondern jemand, mit dem er an der gemeinsamen Suche nach der Wahrheit teilnehmen wollte. Deswegen war ihm seine teilnehmende Methode ganz natürlich, die darin besteht, bei einem Widerstreit von zwei Positionen, die beide von scharfsinnigen Denkern ohne Privatinteressen vertreten werden, stets einen Mittelweg zu suchen und beide in einer dritten Position zu vereinigen.