Sehr geehrter Herr Wilms,
mit Schreiben vom 17.1.23 unterrichten Sie mich über eine bevorstehende „Tarifanpassung“, da „die stark gestiegenen Strompreise […] die Verbraucher sowie die gesamte Energiebranche vor eine Herausforderung“ stellen. Für diese Herausforderung habe ich durchaus Verständnis. Allerdings kann man Herausforderungen auf verschiedene Weisen begegnen – das eben ist das Fordernde in ihnen, dass man Suchen und seine Freiheit entdecken muss. Man findet aber nur, was man sucht. Ist einem eine Alternative nicht wichtig, wird man sie auch nicht sehen, und wenn man sie auch deutlich vor der Nase hat.
Die Stromkosten des Kunden zu erhöhen, ist eine mögliche Umgangsweise mit dieser Herausforderung. Ich kann unter gewissen Bedingungen auch dies billigen. Ich erwarte aber von einem Unternehmen, das mit seinen Kunden zusammenarbeiten, statt sie nur melken will, dass es diesen möglichen Weg als letzten ergreift.
Eine andere Möglichkeit, einer solchen Herausforderung zu begegnen, wäre: dass Sie Geld einsparen, wo es sich einsparen lässt. Ich bin mir sicher, dass sowohl Frau Deckers als Geschäftsführerin, Sie selbst als Leiter des Kundenservice und andere Führungskräfte zuerst ihre eigenen sehr weiten Gürtel ein wenig enger geschnallt haben, ehe sie Ihre Kunden zwingen, ihre Gürtel enger zu schnallen: Sie alle gehören zu den oberen 10% der Bestverdiener in Deutschland, viele ihrer Kunden verdienen deutlich weniger oder leben vielleicht unter dem Existenzminimum. Da Sie sich Ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gewiss bewusst sind, werden sie bereits Abstriche bei ihren Gehältern gemacht haben, und ich muss Ihnen diesen Schritt nicht erst vorschlagen.
Eine andere Möglichkeit zur Vermeidung zu hoher Ausgaben seitens Ihres Unternehmens scheint Ihnen aber entgangen zu sein: Ich erhielt nämlich wie schon im vergangenen Jahr zu meinem Geburtstag am 3.1. einen Glückwunschbrief von Ihnen. Es war diesmal nicht ein bloßer gewöhnlicher Brief, sondern ein aufwändiger, bunt bedruckter Pappumschlag, noch dazu schickten Sie mir mit selbigem – ich weiß nicht, welcher Witzbold in der Kundenabteilung sich diesen Streich ausgedacht hat – eine Packung Kleesamen. Kurzum, Sie haben sich für meinen Geburtstag noch einmal in deutlich größere Unkosten gestürzt als im letzten Jahr. Und da Sie mir wohl kaum eine besondere Wertschätzung entgegenbringen und daher eine Sonderbehandlung zuteil werden lassen dürften, gehe ich davon aus, dass andere Kunden eben solche Karten erhalten. Nun bin ich aber nicht Kunde einer Gärtnerei, sondern eines Stromanbieters. Ich habe mit Ihnen einen Vertrag unterzeichnet, um von Ihnen mit Strom beliefert zu werden – ich wüsste nicht, wo ich vertraglich eingewilligt hätte, sie monatlich zu bezahlen, damit sie mir und anderen Glückwunschkarten und Kleesamen übersenden. Und ich verstehe nicht, wie, solange sie für solche Scherze noch genügend Geld haben, zugleich gestiegene Energiekosten eine „Herausforderung“ sein können, die Sie zwingt, von mir mehr Geld zu fordern. Mein Rat ist daher: Überlassen Sie es der persönlichen Entscheidung jedes einzelnen ihrer Kunden, ob er gärtnern möchte oder nicht. Wer Klee pflanzen will, wird sein Geld für solchen ausgeben, wer es nicht will, wird es sich sparen. Die Einsparungen, die Ihnen dies erlaubt, lassen Sie Ihren Kunden zugutekommen, ehe Sie deren Strompreise erhöhen.
Sie schrieben mir: „Wir hoffen, dass Sie Ihren Ehrentag so verbringen können, wie Sie sich das vorstellen. Wenn Sie nämlich Dinge tun, die Sie gerne tun, entsteht Glück. Und zu Ihrem Geburtstag wünschen wir Ihnen eine volle Ladung davon.“ Dies fasse ich als Verhöhnung und Gehässigkeit auf. Sie wissen nämlich seit meinem Brief vom letzten Jahre – den ich, da Sie ihn vergessen zu haben scheinen, hier noch einmal beifüge –, dass Ihnen schreiben zu müssen, dass Sie derlei Glückwunschkarten zu unterlassen haben, kein Ding ist, das ich gerne tue. Sie wissen auch, dass ich mir vorgestellt hatte, meinen Ehrentag nicht mit neuerlichen unerwünschten und von meinem Geld bezahlten Briefen verbringen zu müssen.
Vergangenes Jahr hatte ich mir weitere Glückwunschkarten verbeten und Ihnen erklärt, dass Sie mich durch derlei als Kunden verlieren. Sie zeigen mir nun, dass Sie nicht das Mindestmaß an Menschenachtung mir gegenüber haben, um diesem meinem Wunsch zu entsprechen. Auf eine dritte Missachtung dieser Art zu meinem nächsten Geburtstag habe ich keine Lust. Ich werde mich also nach einem seine Kunden mehr achtenden Stromanbieter umsehen – es sei denn, Sie können es mir glaubhaft machen (! – Floskeln von Menschen, die so wenig Selbstachtung haben, dass sie sich nicht zu schade sind, als professionelle Abwimmler zu arbeiten, wünsche ich so wenig wie vergangenes Jahr), dass ich künftig nur noch mit Briefen sachlichen und unsere Geschäftsbeziehung betreffenden Inhalts zu rechnen habe.
Jonathan Löwer