Sehr geehrter Herr Wilms,

zu meinem Geburtstag im vergangenen Monat erhielt ich von Ihnen einen Brief mit Ihren Glückwünschen. Ich komme nun dazu, Ihnen zu schreiben und mir hiermit solche Briefe für die Zukunft zu verbitten.

Ich weiß offen gestanden nicht, was ein solcher Brief soll und weshalb Sie ihn verschicken. Soll das kundennah, persönlich, menschlich daherkommen? Derlei erwarte ich nicht von einem Stromunternehmen, sondern nur, dass es mir zuverlässig Strom liefert, zu angemessenen Preisen und unter Wahrnehmung seiner Verantwortung für diesen Planeten und die ihn bewohnenden Menschen. Ist dies gegeben, darf mir besagtes Unternehmen gern ganz kalt und sachlich begegnen. Vielleicht gibt es irgendwo da draußen andere Kunden, die unaufgeklärt genug sind, sich über solche Albernheiten zu freuen oder gar Wert darauf zu legen. Ich aber bin Aufklärer von Beruf und für solche Späßchen Ihrer Marketingabteilung doch etwas zu objektiv: Ich weiß, Ihre Glückwünsche sind nicht ernst gemeint und kommen nicht „von Herzen“, wie Sie behaupten, es handelt sich bei diesen um eine ganz unpersönliche Floskel, die Sie, sicherlich automatisiert, auch jedem anderen zukommen lassen. – Was ich als ein Faktum aussprechen, nicht als einen Vorwurf; denn wie könnte es mehr sein? Sie kennen mich nicht, wie ich Sie nicht kenne, wir sind uns, auf der persönlichen Ebene, Nichts und gänzlich gleichgültig, wie es sich bei gänzlich Fremden eben verhält, mein Geburtstag kümmert Sie nicht, so wenig als mich der Ihre; unsere Beziehung ist rein geschäftlicher Natur und nicht etwa freundschaftlicher oder familiärer. Ich erwarte von Ihnen daher kein Interesse an mir – außer dem allgemeinen moralischen Interesse, das Sie jedem Menschen ob seines Menschseins schulden: gerade dieses letztere aber verletzen Sie, wenn Sie einen Menschen mit solch einer Marketingfarce belästigen und ihn belügen, ihn persönlich ansprechen, ohne es persönlich zu meinen und während er doch selbst ganz klar durchschauen muss, dass er nicht persönlich gemeint ist. – Hierdurch fühle ich mich, um es gemeinverständlicher auszudrücken, bloß verarscht.

Doch fühle ich mich nicht allein nicht ernst genommen und stattdessen genervt durch solche Briefe, Ihre Missachtung geht tiefer:

Einmal kostet es Geld, solch einen Brief zu versenden. Und da ich nicht Ihr einziger Kunde bin, der ihn erhält, viel Geld. Ich überlasse es gewöhnlich jedem Menschen und auch jedem Unternehmen selbst, wie er bzw. es sein Geld ausgibt, es mag sich auch um eine sinnfreie Verschwendung handeln. Dies aber nur unter der Bedingung: dass es nicht mein Geld ist, welches da verschwendet wird. Eben dies ist aber der Fall, da ich ja Ihr zahlender Kunde bin. Als solcher würde ich auf eine Glückwunschkarte sehr gerne verzichten, wenn Sie dafür den Strompreis um einige Cent reduzieren könnten (und glaube sogar, damit auch für viele andere Kunden sprechen zu dürfen), und sehe umgekehrt nicht ein, zusammen mit Ihrem Strom noch Leistungen mitzubezahlen, die ich gar nicht wünsche. Fern davon, dass Ihre Karte mir eine Freude machte, weil an mich gedacht wäre, und mich so enger an Sie bindet, bewirkt sie also eher das Gegenteil, nämlich dass ich erwäge, mich nach einem anderen Anbieter umzusehen, der günstiger ist, weil er sich solche sinnfreien Ausgaben spart.

Sodann, und das wiegt noch weit schwerer, als wie Sie mit meinem Geld umgehen, verursacht ein solcher Brief noch ganz andere Kosten: Brief und Umschlag bestehen aus Papier und Pappe, die hierfür vergeudet werden, ihn zu bedrucken und zu verschicken hat Treibhausgase freigesetzt. Ihnen sollte bekannt sein, dass ich von Ihnen Ökostrom beziehe, Sie dürfen also davon ausgehen, dass mir daran gelegen ist, diesen Planeten nicht noch weiter zu zerstören und nicht noch mehr Menschen zu ermorden (im Gegensatz zum größten Teil unserer schnelllebigen ADHS-Gesellschaft habe ich noch nicht den Mord an elf Dutzend Menschen im Ahrtal vergessen) und auch nicht meine eigene Zukunft auf dieser Erde zu verlieren. Wenn ich nun feststelle, dass Sie so leichtfertig und gedankenlos mit unserer Mitwelt umspringen, so legt mir das nahe, mir einen neuen Anbieter zu suchen, der dies hoffentlich nicht tut.

Wenn Sie mich gänzlich als Kunden vergraulen wollen, so antworten Sie mir jetzt mit irgendwelchen Floskeln, die genauso unpersönlich und vorgefertigt sind wie Ihr Geburtstagsgruß, und zeigen mir durch ein allgemeines „Wir bedauern, Sie verärgert zu haben“ o. ä., dass Sie diesen meinen Brief nicht gelesen, dass sie nicht verstanden haben, dass ich zu aufgeklärt bin für hohle Phrasen, und dass Sie ganz und gar nichts bedauern und Ihnen ganz und gar nichts leid tut – denn wer aufrichtig so empfindet, der tut mehr dafür, es künftig besser zu machen, als dafür, mit möglichst grämlicher Miene um Verzeihung zu winseln. Ich bin sehr empfindlich gegen Entschuldigungen – ein verräterisches Wort: da will sich einer selbst ent-schuldigen, sich seiner eigenen Schuld entledigen, als wäre es nach einigen Worten getan und als erwürbe er sich durch diese die Erlaubnis, fortzufahren wie bisher – und ziehe Taten Worten, ziehe echte Verbesserung bloßen Lippenbekenntnissen vor.

Wenn Sie mich andererseits halten wollen: Dann verzichten Sie gerne auf Antwort, aber lassen mir, aus Anlass meines Geburtstags oder aus anderen Anlässen, nicht nochmals Briefe zukommen, wenn es nicht sein muss, und insbesondere wenn es nichts mit unserer Geschäftsbeziehung zu tun hat.

Mit freundlichen Grüßen,

Jonathan Löwer