Ich habe meinem Wörterbuch die ersten beiden (identischen) Einträge hinzugefügt: Positiv(ismus) und Negativ:

 

In der Alltagssprache ist positiv heute so viel wie das Gute, negativ das Schlechte. Richtiger wohl wäre es aber, diese beiden Ausdrücke mit „vorhanden“ und „nicht vorhanden“ zu übersetzen, sie ein bisschen zu verstehen wie das Türkische var und yok. Positiv leitet sich nämlich vom lateinischen ponere her, was setzen, stellen oder legen bedeutet, das Positive ist also eigentlich das Gesetzte oder Gegebene. Man denke an die Position, ein Wort, welches ja keine Wertung im Sinne von gut oder schlecht ausdrückt, sondern einen Standort bezeichnet, den Punkt also, an den jemand oder etwas gesetzt – d. i. positioniert – wurde.

Auf diese Weise, nicht im alltäglichen Sinne von gut, wird das Wort positiv in der Fachsprache nach wie vor vielfach gebraucht: So mag es alles andere als etwas Gutes bedeuten, HIV-positiv zu sein, es ist aber insofern positiv, als der Virus eben im Körper vorhanden ist. In ganz demselben Sinne kann ein Schwangerschaftstest positiv oder negativ ausfallen, unabhängig ob nun im fraglichen Falle das Vorhandensein oder gerade das Nichtvorhandensein einer Schwangerschaft für gut oder für schlecht genommen wird.

Und in diesem Sinne hat man denn diese beiden Begriffe auch in der Philosophie zu nehmen. Etwa bezeichnet Positivismus eine Haltung, die keineswegs sonderlich gut, die vielmehr in höchstem Grade unaufgeklärt und verächtlich ist, für die es nur das je Gegebene gibt und die dieses unhinterfragt hinnimmt: So lehnt ein theoretischer Positivismus jede Metaphysik ab und akzeptiert nur das in der Erfahrung Gegebene, ohne zu fragen, wer es denn gegeben haben soll oder wie die Erfahrung zustandekommt; der Rechtspositivismus erklärt das positive, d. i. das gerade gegebene Recht stets für das gültige und lehnt die Frage ab, ob dieses selbst Recht oder Unrecht ist; Machtpositivismus wäre es, sich immer der gerade herrschenden Macht zu unterwerfen und diese niemals auf ihre Legitimität hin zu prüfen; der moralische Positivist nimmt jene Moralvorstellungen hin, die er eben gerade vorfindet, sie mögen lauten, wie sie wollen; die positive Religion schließlich ist, unabhängig von der Frage, ob sie eine gute oder eine schlechte ist, jede, etwa durch eine Offenbarung, gegebene, und religiöser Positivismus wäre es, irgendwelche Dogmen oder heiligen Texte, wie sie eben sind, für wahr zu nehmen und nicht zu fragen, ob sie mit der Vernunftreligion in Einklang stehen.

Auch in anderen Zusammenhängen als in dem des Positivismus mögen die Begriffe positiv und negativ Anwendung finden. Beispielsweise wäre „Frieden ist die Abwesenheit von Krieg“ eine negative Definition von Frieden, womit nicht ausgedrückt werden soll, dass es sich um eine schlechte, sondern dass es sich um eine Definition handelt, die Frieden dadurch erklärt, was er nicht ist; positiv definieren könnte man ihn hingegen z. E. dadurch, dass man sagte: „Frieden ist der Zustand der gelebten Achtung.“ Auch wenn ich zwischen positiver und negativer Aufklärung unterscheide, ist dies zunächst keine Wertung: Ich nenne negative Aufklärung die, die darin besteht, sich von fremder Leitung freizumachen und die Fußschellen der Unmündigkeit abzuwerfen, positive hingegen die Selbstleitung, das Lernen selbstständigen Laufens.