Fragt man die meisten Menschen, so werden sie wohl aussagen, sie wollten gerne ein möglichst sorgloses Leben führen. Das gereicht ihnen wenig zur Ehre, wenn man nur den wahren Sinn des Wortes Sorge bedenkt; ja der Wunsch offenbart sich dann als der ewige Wunsch der Feigen und Schwachen, nur ja keine Verantwortung tragen zu wollen.

Sorgen, das heißt nämlich sich kümmern, sich annehmen. Diesen Sinn und keinen anderen hat es in solchen Wörtern wie versorgen, umsorgen, besorgen, vorsorgen, die alle kein großes Bangen und Zittern ausdrücken, sondern eben, dass man sich um eine Sache bemüht oder etwas herbeischafft, das benötigt wird. Aber auch sorgen selbst und ohne jede Vorsilbe wird in diesem Sinne verwendet, wenn es nur gemeinsam mit der Präposition für gebraucht wird: für jemanden sorgen, das ist, was dem Angelsachsen to care for somebody heißt. Doch sobald wir statt des für ein um verwenden (seltsam, da doch die Zusammensetzung mit dieser Silbe, das Umsorgen, einen ganz anderen Sinn hat) und das Wort reflexiv gebrauchen, sobald wir sprechen, wir sorgten uns um jemanden, nimmt es eine andere Bedeutung, nämlich die des Englischen to worry for somebody an.

Hier liegt eine Doppeldeutigkeit, die das Englische nicht kennt und die manchmal, wie jede Doppeldeutigkeit, ein Reichtum sein mag, aber auch, wiederum wie jede Doppeldeutigkeit, zur Verarmung führen kann, wenn sie nämlich zur Eindeutigkeit wird und der eine Doppelsinn den andren gänzlich zu überdecken und verdrängen droht. Obwohl das deutsche Sorgen mindestens so sehr dem to care wie dem to worry entspricht, denken die meisten, wenn sie das Wort für sich genommen hören, doch zuerst an das letztere: Sorgen sind etwas anstrengendes, belastendes, einem das Leben verleidendes und es wäre einem lieber, man machte sie sich nicht. So denkt, wie gesagt, der Sklave und Mutlose, dem jede Verantwortung eine Überlastung ist: Einem solchen wird aus der Sorge um hierher fliehende Menschen oder aus der Sorge um das Klima dieses Planeten sogleich die Angst, es könnte ihm jemand etwas wegnehmen, was er dann ausdrücken mag: er sorge sich um seinen Wohlstand, seine Freiheit und Sicherheit usw. Der Mutige, Kräftige, Verantwortliche, der Über- und sittliche Mensch will nicht bloß müßig herumsitzen, er will Sorgen haben, will für sich und andere und seine Um- und Mitwelt die Verantwortung tragen, ein solcher wird es also verschmähen, dem Worte eine schlimme Bedeutung zu geben.

Rede ich von Sorge, soll es daher nur in jenem Sinne eines Kümmerns verstanden sein. Andersherum verbitte ich mir in den meisten Fällen, da man es tut, das Wort zu gebrauchen. Denn wenn die Menschen es gewöhnlich gebrauchen, so umschreiben sie damit ein hilfloses Gefühl, welches daher kommt, dass sie sich gerade nicht genug sorgen: So ist der Mensch dann in Angst um die Zukunft, wenn er diese als ein hereinbrechendes Schicksal erwarten muss, dem er ausgeliefert sein wird, er darf also nicht behaupten, um sie besorgt zu sein, denn wenn er für eine gute Zukunft sorgte, hätte er keinen Anlass zur Angst. So verbat ich mir einst die angeblichen Sorgen meines Onkels – der wähnte, ich wäre unselbstständig, von meinem Papchen abhängig und sozial isoliert, ohne mich zu treffen oder mehr als einmal im Jahr für einige Minuten mit mir zu sprechen, ohne über mein Leben irgendetwas zu wissen oder zu erfragen und vor allem ohne ein ernsthaftes Interesse, dieses tätig zu bereichern – als eine Übergriffigkeit; wenn er gerne Angst empfinde und sich eine schlimme Zukunft ausdenke, sei das seine Sache, ich aber wenigstens wolle nicht der Gegenstand dieser Selbstquälerei sein, echte Sorge empfinde für mich mein Papchen – und eben darum, weil es mich so liebevoll umsorgte und auch echte Nähe zu mir geschaffen hatte, keine Angst um mich.

Wie aber soll man dieses Gefühl der in schwere Falten gelegten Stirn und des Lippenbeißens und Händeringens heißen, das ja doch ein wirkliches und leider in dieser unaufgeklärten Welt nur allzu häufiges Gefühl ist und daher einen Namen braucht?, so mag jemand fragen, der nun eingesehen hat, dass es jedenfalls nicht Sorge heißen darf. Ich antworte: Es ist die Bangigkeit: Schon jetzt kann man statt des nur keine Sorge zur Beschwichtigung eines Menschen nur keine Bange, statt sich um jemanden sorgen, um jemanden bangen sagen und meint beide Male ganz dasselbe. In anderen Fällen wird es zunächst seltsam klingen, statt vom Sorgen vom Bangen zu sprechen: bebangt, anstatt besorgt, bangevoll, statt sorgenvoll, voll der Bange (oder, so man lieber will: Bangigkeit) sein, anstelle von voll der Sorgen sein, das mag zunächst ungewohnt sein, aber es ist auch nicht mehr als dieses, und wenn wir nur recht viel und konsequent so sprächen, so würde es wohl bald zur Gewohnheit werden. Mir will das Bangen der vortrefflichste Ersatz des Sorgens im Sinne des Englischen to worry sein, nicht nur, weil es, wie bemerkt, schon jetzt mitunter an seine Stelle treten kann, sondern auch, weil es nach seinem eigentlichen Wortsinne viel besser ausdrückt, was in Wahrheit gemeint ist oder jedenfalls sein sollte: Bang, das ist nämlich der Wortherkunft nach mit Angst verwandt, und beides entspringt derselben Wurzel wie eng: Die enge, zusammengezogene, beklommene Brust aber ist es, die wir in diesem Zustande empfinden, da wir uns selbst beengen und das Leben schwer machen, hingegen wird, wer sich wirklich und im fruchtbaren Sinne sorgt und also aus sich heraus und an ein anderes herantritt, von der eigenen Kraft und Liebe diesem labend zuströmen und abgeben lässt, sich öffnen und die Weite seiner Brust und seines Herzens empfinden.