Man wird in Erforschung jenes Grundes finden, dass in allen bisherigen Verfassungen die Theilnahme am Ganzen geknüpft war an die Theilnahme des Einzelnen an sich selbst, vermittelst solcher Bande, die irgendwo so gänzlich zerrissen, dass es gar keine Theilnahme für das Ganze mehr gab, – durch die Bande der Furcht und Hoffnung für die Angelegenheit des Einzelnen aus dem Schicksale des Ganzen, in einem künftigen und in dem gegenwärtigen Leben. Aufklärung des nur sinnlich berechnenden Verstandes war die Kraft, welche die Verbindung eines künftigen Lebens mit dem gegenwärtigen durch Religion aufhob, zugleich auch andere Ergänzungs- und stellvertretende Mittel der sittlichen Denkart, als da sind Liebe zu Ruhm und Nationalehre, als täuschende Trugbilder begriff; die Schwäche der Regierungen war es, welche die Furcht für die Angelegenheiten des Einzelnen aus seinem Betragen gegen das Ganze, selbst für das gegenwärtige Leben, durch häufige Straflosigkeit der Pflichtvergessenheit aufhob, und ebenso auch die Hoffnung unwirksam machte, indem sie dieselbe gar oft, ohne alle Rücksicht auf Verdienste um das Ganze, nach ganz anderen Regeln und Bewegungsgründen befriedigte. Bande solcher Art waren es, die irgendwo gänzlich zerrissen, und durch deren Zerreissung das gemeine Wesen sich auflöste.

 

Johann Gottlieb Fichte: Reden an die deutsche Nation. Erste Rede.