Beim Aussteigen aus der U-Bahn wurde ich einmal Zeuge folgender ganz typischer Szene: Eine Mutter rennt im Versuch, den Zug vor seiner Abfahrt noch zu erreichen, die Treppen zum Bahnhof hinunter und über den Bahnsteig auf die sich schon schließenden Türen zu. An der Hand die kleine Tochter, noch im Kindergartenalter, die mit den schnellen langen Schritten ihrer Mutter nicht mithalten kann, aber von der derart heftig gezerrt wird, dass sie fast hinfällt, immer wieder schreiend: „Mama! Mama! Nicht so schnell!“ Auf halbem Weg zwischen Treppe und U-Bahntür steht die hüfthohe Säule mit dem Gerät zum Abstempeln der Fahrkarten darauf – bumms, da hat die Mutter das Mädchen in vollem Lauf gegen die Säule geknallt, die größer ist denn sie – aber unbeirrt, höchstens noch hektischer ob dieser kurzen Abbremsung, schleift die Mutter die benommene Tochter weiter in die U-Bahn hinein, die sie gerade noch so erwischt. – Leider erwischt, könnte ich sagen, nicht aus Bosheit, nicht eines schadenfrohen, aber sich bei kritischer Betrachtung sofort als zwecklos erweisenden „Geschieht ihr recht, das hat sie nun davon!“ wegen, sondern um der Lehre wegen, die ihr das Leben durch das Verpassen des Zuges hätte erteilen können. Allein, Unaufgeklärte glauben nicht ans Leben und sind nicht lebendig, sondern bloße Zombies, sie treten mit dem Leben nicht in Dialog und lassen sich von ihm nichts lehren: Lebenserfahrung ist daher eine Lüge und Menschen lernen aus ihren Fehlern und ihrem Scheitern nichts und werden aus Schaden nicht klug – sie sind eben keine Ratten, die im Experiment schnell merken, welcher von zwei Knöpfen ihnen Futter, welcher einen Stromschlag beschert, sondern Menschen, die zur aktiven Verstockung fähig sind; wir würden nach dem Holocaust keinen Klimazusammenbruch heraufbeschwören, wenn es anders wäre. Und so erspare ich mir das „Leider“; mag der Frau ihre U-Bahn ebenso gut gegönnt sein, es macht für ihre Aufklärung keinen Unterschied. Wenn aber auch sie sich so oder so nicht aufklären wird an diesem Geschehen, so vielleicht doch mein Leser.

Die Szene ist typisch gewesen, sagte ich. Dass Eltern, weil sie es eilig haben, ihre Kinder quälen, kann man besonders in den öffentlichen Verkehrsmitteln allenthalben beobachten. Aber abstrahiert man von dieser bestimmten Ausformung der Sache und fasst sie allgemeiner, so erweist sie sich als noch viel häufiger und als für jeden, er habe nun Kinder oder nicht, bedeutsam: Wie oft richten nicht Menschen in ihrer Hektik Schaden an, an ihren Nächsten, an ihrem Besitze, an sich selbst!

Es dürfte jemand zwar zugeben, dass das Handeln dieser Mutter und aller, die ähnlich in ihrer Hektik agieren, kein gutes ist, aber fragen, was es denn speziell mit Aufklärung zu tun habe, ganz so, als hätte nicht Alles mit Aufklärung zu tun und als wäre nicht jedes schlechte Handeln ein unaufgeklärtes.

Hat die Mutter sich vielleicht selbst geleitet? Hat sie getan, was am vernünftigsten war? Hat sie ruhig und besonnen gehandelt? Ein ruhiger und besonnener Mensch hätte sich mehr Zeit gelassen und nötigenfalls die nächste Bahn genommen. Vernünftig ist es nicht, sich und dem eigenen Kind solchen Stress zu machen. Und sich selbst geleitet haben kann sie nicht, denn wer sich selbst leitet, der tut immer genau das, was er auch tun will – wir wollen ihr aber nicht unterstellen, dass das Verletzen ihres Kindes eben das war, was sie auch tatsächlich wollte. Nein, die Frau stand unter fremder Leitung: Sie hat sich kirre machen lassen von der abfahrenden U-Bahn, hat sich nicht einmal einem anderen Menschen, sondern einem bloßen Gegenstand unterworfen, anstatt ihrer eigenen Einsicht. Sodann war sie panisch – denn nichts anderes als eine Form der Panik ist jede Hektik. Panik aber tötet die Sinne und verhindert jedes Nachdenken: Panik bedeutet blinde Flucht nach vorn, weg von Dem, was immer man flieht (in diesem Falle nicht weg von, sondern hin zu Etwas, könnte einer sagen: andrerseits aber ist die Frau vielleicht nicht so sehr hin zur Bahn als vielmehr weg von dem Verpassen derselben und dem Stehenbleiben auf dem Bahnsteig geflohen), Panik macht einen Tunnelblick und verhindert alle Schau auf Details und alle Überlegung. Wer panisch wegrennt, der wird sich nicht die Schaufenster an seinem Wege anschauen oder an den dort wachsenden Blümchen riechen, er wird auch nicht innehalten, um zu überlegen, ob der gewählte Fluchtweg wirklich der beste ist oder er nicht geradezu in eine Sackgasse oder auf einen Abgrund zu rennt, noch wird er in Ruhe überlegen, ob er überhaupt wegrennen sollte oder ob Das hinter ihm nicht viel weniger schrecklich ist, als er vermeint: er wird nur blind rennen, ohne Rücksicht auf Verluste. Panik ist eine Abart der Angst, eben dessen also, was an der Wurzel jeder Unaufgeklärtheit liegt: Wer Angst hat, wer panisch, wer hektisch ist, wer mit einem Nein, einem Weg-von arbeitet („ich will den Zug nicht verpassen!“ – statt einem Ja: „ich will, dass mir und meiner Tochter wohl ist – ob auf dem Bahnsteig, ob in diesem, ob im nächsten Zug“), der beschränkt sein eigenes Denken, ja verunmöglicht sich dieses. Es ist eine alte, allen Denkern geläufige Wahrheit, ja geradezu ein Gemeinplatz der Philosophie, dass man entweder tun oder denken kann. Vita contemplativa und Vita activa schließen einander aus (wenigstens im selben Moment), und niemand durchdenkt eine Sache im Augenblick, da er sie tut. Das Nachdenken erfordert ein Innehalten, ein wenigstens vorübergehendes Hinaustreten aus dem Lebensfluss, ein Überblicken desselben vom Ufer aus. Als letzte hat, so meine ich, Arendt diese Wahrheit ausgesprochen, der klar war, dass Stress und Hektik, beständiges Rödeln, Konsumieren, Unterhaltensein, Funktionieren – kurz, unser ganzes modernes Leben – dem Denken und Hinterfragen tödlich ist, dass etwa ein guter Bürokrat wie Eichmann viel zu eingebunden in seine Tätigkeit war, um jemals in aller Ruhe nach deren Wert und Rechtmäßigkeit zu fragen. Und vor ihr ging Fichte so weit, den Reichtum des Staates ganz treffend nicht in angehäuftes Geld oder Warenproduktion, sondern in die seinen Bürgern ermöglichte Muße zu setzen, also die Zeit, die sie gewinnen, um nicht nur zu arbeiten, sondern sich aufzuklären und zu bilden.

Die kleine Geschichte, die ich hier erzählte, ist offensichtlich auch eine Geschichte von Missachtung. Wie es stets und gesetzmäßig sich verhält, missachtet man, wenn man missachtet, alle Menschen: Die Mutter achtete weder ihre Tochter noch sich selbst. Sich selbst achtete die Mutter nicht, denn sie selbst hat sich ja Stress gemacht und die mögliche Ruhe und Heiterkeit benommen, was nie ein ergötzliches Gefühl ist, zudem musste sie sich über die Langsamkeit ihrer Tochter ärgern, und am Ende konnte sie, als diese gegen die Säule knallte, noch mit dieser mitleiden, wenn wir ihr nicht gänzliche Gleichgültigkeit gegen ihr Kind unterstellen wollen. Die Missachtung der Tochter auf der anderen Seite ist ganz offensichtlich und braucht scheinbar nicht weiter auseinandergesetzt zu werden. Solche Form der Kindesmisshandlung ist ja gang und gäbe und widerfährt beinahe jedem Kinde andauernd von Seiten seiner Eltern, Erzieher oder Lehrer. Ich verbitte mir hier auch jedes Naserümpfen und Stirnkrausziehen über einen angeblich zu krassen gewählten Ausdruck. Es ist eine Kindesmisshandlung, die hier stattfindet. Freilich eine ganz legale, gegen die kein Jugendamt und kein Gericht irgendein Kind schützt und für die auch keine Eltern von der Öffentlichkeit nennenswert verurteilt werden. Aber auch das gehört zur Aufklärung, zum eigenständigen Denken und Urteilen: dass man nicht dem allgemeinen Urteil folgt und das Alltägliche und gewöhnlich nicht Beanstandete für notwendig harmloser hält als anderes: auch Ohrfeigen waren vor nicht allzu langer Zeit eine alltägliche, legale und gesellschaftlich anerkannte Form der Kindesmisshandlung, die doch heute glücklicherweise verboten ist. Die Missachtung und die Schädigung des Kindes reicht übrigens weiter, als der Oberflächliche erkennen wird, zumal ja die von mir beobachtete Szene sicher kein außergewöhnlicher Einzelfall im Leben dieses Kindes war, sondern zu vermuten ist, dass sein ganzes Aufwachsen hindurch, dass die ganzen ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens solche Hektik, solches Antreiben und Zerren in der einen oder anderen Form prägend und bestimmend bleiben werden. Eltern, die ihrem Kinde derart Hektik und Panik vorleben und es selbst dem Diktat ihrer Hektik und Panik wieder und wieder unterwerfen, erziehen es damit dahin, einmal als Ausgewachsener zu werden wie sie. Sie erschweren ihm seine Aufklärung, denn sie arbeiten dem entgegen, dass das Kind einen Ruhepol findet, dass es zunächst ein Gefühl des Getragenseins und darauf dann seinen Mut aufbaut, womit es insbesondere ab der Pubertät aus sich hinaus und mit der Umwelt in Kontakt treten könnte: sie fördern bei ihm dieselbe Grundunsicherheit und -wackeligkeit, die für sie bestimmend ist (und die sie wahrscheinlich wiederum von ihren Eltern mitbekamen) und die häufige Panik begünstigt. Man hat eben, sobald man Kinder hat, eine erhöhte Verantwortung, aufgeklärt zu sein, nicht länger nur um seiner selbst und seiner Mitwelt, sondern insbesondere um des eigenen Kindes willen, das einer Unaufgeklärtheit auszusetzen, man schlechterdings kein Recht hat. Und wer sich nicht aufklären kann, wer als Ausgewachsener und nach Jahrzehnten auf dieser Erde immer noch nicht im Leben angekommen ist, nun, gegen den kann man, solange es nur um ihn selbst geht, nachsichtig sein – aber der unterstehe sich eben, das Verbrechen zu begehen, Kinder zu kriegen.

Dass und inwiefern die Mutter sich und ihre Tochter missachtet hat, ist hiermit dargetan. Was aber, jenseits der ganz wörtlichen Bedeutung, dass man eben nicht auf jemanden, auf sein Fühlen und Wollen und Bedürfen, achtet – hier: dass man nicht hinschaut, was ist mit meiner Tochter?, da die eigne Panik jedes Hinschauen unmöglich macht –, bedeutet solches Missachten in der Wurzel?

Es gehört zu den größten philosophischen Verdiensten und den tiefsten Erkenntnissen Henrik Löwers, Raum und Zeit nicht nur, wie Kant, als Anschauungsformen und damit als Grundlage all unsres Denkens und Erfahrens gefasst zu haben – sie sind auch, ja vom Verstande her betrachtet nur dieses –, sondern begriffen zu haben, dass jenseits dieser Anschauungsformen Raum und Zeit Gefühle sind – oder besser: vor, denn das Gefühl für Raum und Zeit geht dem voran, dass dieses bloße Fühlen unter eine Form gebracht und dass ein nach Verstandeskategorien bestimmtes Etwas in Zeit und Raum angeschaut wird. Diese Gefühle aber sind, wie die Grundlage allen Lebens, so auch die Grundlage der Achtung, und mich und andere achten, heißt nichts anderes als: uns Raum und Zeit gönnen; mich und andere missachten: uns Raum und Zeit nicht gönnen.

In diesem Falle will ich vom Raum nicht sprechen, sondern einzig auf die Zeit mein Augenmerk richten: Im Umgang mit Kindern ist es ein umso höheres Gebot der Achtung, sich diese zu nehmen. Kinder nämlich leben in ihrer eigenen Zeit, die anders und oft langsamer läuft als die der Ausgewachsenen. Sie können, wie im vorliegenden Falle, nicht so hetzen und so schnell mit solch großen Schritten rennen wie die Ausgewachsenen. In einem anderen Falle mögen sie ihre kleinen Rituale brauchen, mögen es brauchen, vor dem Losgehen in aller Ruhe aufs Klo zu gehen, einen Schluck aus ihrer Flasche zu trinken, ihre Jacke zuzuknöpfen, weil sie dabei durcheinanderkamen, sie wieder auf- und noch einmal zuzuknöpfen, und es ist eine Grausamkeit sondergleichen, sie hierin zu stören. Es ist stets Pflicht der Größeren und Stärkeren, sich auf die Kleineren und Schwächere einzulassen, sich an deren Bedürfnisse und deren Geschwindigkeit anzupassen, statt sie zu zwingen, mit ihnen, den Größeren und Stärkeren, Schritt zu halten, ohne es eigentlich zu vermögen. Dass dies so oft nicht geschieht, ist dem Rassismus gegen die Kinder geschuldet, der wie jeder Rassismus eine Weigerung ist, sich auf ein Anderes und Fremdes mit seinen Eigenheiten einzulassen, eine rücksichtslose Forderung, das andere habe gefälligst nicht anders zu sein, sondern einem selbst gleich oder widrigenfalles – gar nicht; eine Haltung, geboren aus der Faulheit, der Ursünde der Unaufgeklärten.

Es ist aber mit der Zeit wie mit dem Raume und mithin auch mit allem andren, ob Geld, Land, Macht, Liebe oder andres mehr: man kann sie nur dann einem anderen gönnen, wenn man selbst das Gefühl hat, so viel zu haben, wie man braucht, ja mehr noch, sodass man abgeben kann; wenn man also nicht selbst meint, schon zu wenig zu haben und nun durch die Ansprüche des andren in den eignen noch beschnitten zu werden. D. h. ich kann einem anderen Menschen, wie etwa meinem Kinde, nur dann die Zeit gönnen, die er braucht, wenn ich mir selbst Zeit gönne, wenn ich nicht selbst schon im Stress bin und fürchten muss, er werde mir nun Zeit rauben. Und dieses: sich Zeit (wie auch Raum) im Leben gönnen, somit sie auch andren gönnen können, dieses, was es eigentlich heißt, sich und andre achten, das ist der wahre Kern alles aufgeklärten und übrigens auch der Grundstein eines seligen Lebens. Um also als der Vernunftkünstler, der ich ja, neben dem Gelehrten, vornehmlich bin, auf das unmittelbar Lebenspraktische dieses Aufsatzes zu kommen: Die Mutter hätte mit etwas mehr Gelassenheit durchs Leben gehen und sich sagen können: „Was sind fünf Minuten, die wir vielleicht auf die nächste Bahn warten müssen! Nichts im Vergleich mit der Ruhe, die ich verspüre, wenn ich mich nicht abhetze, nichts im Vergleich dazu, ein heiteres und fröhliches Kind an meiner Seite zu haben, das lacht, statt vor Schmerzen schreit! Wir können ja gemeinsam lachen und ein Spiel spielen, dieweil wir warten, da werden die fünf Minuten im Nu vorüber sein!“

Es ließe sich höchstens noch einwenden, dass man ja nicht immer so ruhig und gelassen durchs Leben gehen könnte, manchmal müsste man sich eben hetzen, weil man es eben wirklich eilig hätte – und auch ich, könnte ein Schelm einwenden, wüsste hier doch nicht, ob die Mutter nicht einen ganz wichtigen Termin hatte, zu dem sie schon spät dran war. Nun, wahrscheinlich ist es nicht, und wer sein Umfeld und sich selbst einmal kritisch überschaut, wird eingestehen müssen: Meist hetzen wir uns ganz umsonst. Gerade U-Bahnen und vergleichbare Verkehrsmittel scheinen einen geradezu magischen Bann auf die Menschen zu legen, und diese hetzen sich oft, schädigen sich und andere, ohne dass sie sich irgendeinen echten Gewinn versprechen könnten, gerade so, als wären fünf Minuten verlorene Lebenszeit ihr Untergang. Aber gesetzt, die Mutter war wirklich zu einem Termin spät dran: Wie kann denn dieses gekommen sein? Doch wahrscheinlich, weil sie nicht früh genug losgegangen ist. Auch wer mir sagte, man könnte nicht immer dem Kinde seine kleinen Rituale, man könnte es nicht immer ganz langwierig die Jacke zuknöpfen lassen, wie ich es oben beschrieb, man könnte es ebenso wenig unterwegs an jedem Schaufenster stehen lassen, denn man hätte eben Termine, dem entgegne ich: So plane dieses doch einfach mit ein! Wenn du weißt, dass du für einen Weg eine halbe Stunde brauchst, so gehe eben eine Dreiviertelstunde vor deinem Termin los, so hat dein Kind eine Viertelstunde, um lebendig zu sein – denn Termine, blinde Durchgeplantheit, das ist tote Mechnaik, aber nicht leben, und keine Biene auf Pollenflug, kein Wolf auf der Jagd ist so stumpf programmiert, dass sie sich nicht erlauben würden, mit dem Leben zu tanzen, d. i. einmal innezuhalten und etwas Ungeplantes zu erledigen, hinzuschauen, auf einen unerwarteten Reiz zu reagieren usw. Mein Papchen ist immer rechtzeitig mit mir los, dass dreierlei gewährleistet war, ob es nun zur Schule, ins Kino, auf eine Reise oder anderswohin ging: dass wir pünktlich kamen, dass Raum für meine Persönlichkeit und meine Geschwindigkeit blieb und dass wir uns beide wohl fühlen konnten dabei – nie wäre es ihm eingefallen, diese drei Wünsche gegeneinander auszuspielen; und dass gerade er, der es so hielt, der philosophische Entdecker des Gefühls für Raum und Zeit ist, und nicht die Mutter, von der ich hier erzählte, ist kein Zufall. Was aber, wenn jemand einwenden wollte: Ich kann keine Viertelstunde eher mit dem Kind los!? Warum nicht?, würde ich ihn fragen. Wohl nicht aus einem anderen, sondern aus demselben, bloß um eines nach hinten verschobenen Grunde: Weil er sich keine Zeit gönnt. Wenn ich nicht eher von zu Hause los kann, weil ich bis zur letzten Sekunde noch Emails beantworten oder das Bad putzen muss oder was immer, dann muss ich vielleicht, um zum Termin pünktlich zu kommen, mein Kind und mich selbst hetzen. Aber so wie fünf Minuten nach der einen Bahn eine andere kommen wird, so werden die Emails und das Bad auch nach dem Termin noch da sein und ich muss nicht jetzt bis zur letzten Sekunde arbeiten – oder aber ich hätte mit diesen Aufgaben schon fertig sein können, wenn ich nicht wiederum sie erst zehn Minuten vor dem Losgehen begonnen hätte, weil ich davor noch bis zuletzt irgendetwas anderes machen musste. Wer ablenken will, kann das Problem, statt sich darum zu kümmern, so weit nach hinten verschieben, als er will, es bleibt doch, allen Klügeleien zum Trotze, dasselbe Problem: an irgendeinem Punkte hat er sich nicht genügend Zeit genommen, hat zu vieles in zu kurzen Rahmen quetschen wollen, und das mag freilich nachher zu allerhand Folgegehetze führen. Zeit nehmen ist aber die entscheidende Formel: Denn Zeit hat man nicht, man nimmt sie sich, die Frage ist nur wofür. Man gönne sich also zunächst mehr Zeit im Leben, man entwickle sein Gefühl für die Unendlichkeit und Fülle der Zeit, die einem schon erlauben wird, alles zu schaffen, was einem wichtig ist: Und sodann wird man, nicht länger im Mangel-, sondern im Füllegefühle lebend, sich die Zeit für alles nehmen können, woran einem liegt, und es wird zum Hetzen und zu allen daraus fließenden Achtlosigkeiten kein Grund sein.