Ideologie ist immer verlogen: Der Ideologe ist nie an der Sache orientiert, die Parteilichkeit für seine Ideologie geht stets vor. Woran aber erkennt man, was Ideologie ist, was nicht? – Es gibt da mehrere Kriterien, und da dies kein Aufsatz über Ideologie überhaupt ist, werde ich sie nicht alle nennen noch aus einer gemeinsamen Wurzel entwickeln, aber ich möchte ihrer drei herausstreichen:

1) Man erkennt den Ideologen einmal daran, dass er nicht fähig ist, an seinen Gegnern sachliche Kritik zu üben – nicht einmal dort, wo dieses sehr einfach wäre: und das kann es freilich in vielen Fällen sein, denn wenn auch der Ideologe immer falsch liegt, so folgt daraus doch mitnichten, dass sein Gegner immer richtig liegen müsste –, dass er vielmehr stets nur geifernde Polemik von sich geben und dabei extrem sein wird bis ins Groteske.

Dieses erste Kriterium der Ideologie sehen wir bei den Feinden der Letzten Generation erfüllt (wir sehen es umgekehrt übrigens nicht erfüllt bei dieser oder bei anderen Klimaaktivisten).

Wir sehen es einmal erfüllt in den Bezeichnungen, mit denen jene Aktivisten belegt werden. Und ich spreche hier gar nicht davon, dass das rechte Gesindel sie als „Klimakleber“ zu verunglimpfen sucht: Da schimpft und wettert ja dasselbe verächtliche Pack, das in früheren Jahren die Schüler von Fridays for Future, weil sie bei ihrem Protest manchmal skandierten: „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle, hopp, hopp, hopp!“ und dabei hoch und runter hüpften, „Klimahüpfer“ nannte und das wieder einige Jahre früher Patrioten, die klatschend Flüchtlinge an deutschen Bahnhöfen in Empfang nahmen und ihnen ihre Hilfe anboten, als „Willkommensklatscher“ tituliert hat. Geistreichere Angriffe hat man von Nazis nicht zu erwarten; solche meinen eben, sie müssten ihre Feinde nur mit einem irgendeine ihrer Handlungen herausgreifenden und beschreibenden Namen belegen und diesen oft genug wiederholen, so hätten sie diese völlig bloßgestellt und aufs Raffinierteste lächerlich gemacht. Nein, ich spreche vielmehr von denen, die nicht auf Querdenkerdemos marschieren und nicht die AfD wählen, ob gemeiner Bürger oder hochrangiger Politiker, welche sich dazu versteigen, Menschen, die friedlich und unter Vermeidung jeglicher Gewalt protestieren, als „Klimaterroristen“ oder gar als „Klima-RAF“ zu bezeichnen. Wer so daherredet, der sucht keine sachliche Debatte und ist nicht offen für einen Dialog, ja der hat sich selbst für jegliches Gespräch disqualifiziert: Einmal verharmlost er aufs Schändlichste echten Terrorismus¹ und dessen Opfer und missbraucht vergossenes Menschenblut für wohlfeile tagespolitische Polemik, zum anderen macht er sich schlicht lächerlich. Aber genau dies ist für die Ideologie eben typisch: die Letzte Generation wird mit der RAF über einen Kamm geschoren, gegen Corona impfende Ärzte werden mit Mengele gleichgesetzt, der Islam ist ein faschistischer Todeskult, die Grünen sind der Antichrist und Ungeimpfte sind die neuen Juden: eine Nummer kleiner geht es nicht, denn man will ja nicht sachlich sprechen und sachlich Kritik üben, man will nur seinem Ärger Luft machen und die Gegenseite gänzlich verunglimpfen.

Wir sehen aber dieses erste Kriterium der Ideologie hier erfüllt nicht nur in einzelnen Schimpfnamen, wir sehen es auch erfüllt darin, wie über die Aktivisten geredet wird und wie man sie beschreibt: faule, wohlstandsverwahrloste Schmarotzer ohne Lebenserfahrung sollen sie sein, die noch nie in ihrem Leben gearbeitet haben und sich ihren Protest nur leisten können, weil sie sie sich ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen müssen. Es ließe sich viel über diese immer gleichen – die Tiraden gegen Fridays for Future lauteten ja damals ganz ähnlich – Vorwürfe sagen: über den typischen Rassismus gegen die Jugend, der diese wegen irgendeiner nebulösen „Lebenserfahrung“, die ihr fehle, mit all ihren Argumenten und Anliegen und selbst grundlegenden Menschenrechten von vorneherein verwirft; über die faschistoide Implikation, dass der Wert eines Menschen sich an seinem gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen, an seiner Lohnarbeit bemesse und Der, der kein sich emsig drehendes Rädchen im Getriebe der großen Maschine ist, ein Parasit und Schmarotzer und rechtlos sei; – all solche Klischees sollten spätestens nach ’68 aus jedem öffentlichen Diskurs verschwunden sein, halten sich aber des ungeachtet. Aber hier an dieser Stelle genügt es, das eine hervorzuheben: dass all dieses eben reine Polemik und gänzlich unsachlich ist, dass keiner, der so daherredet, sich die Bohne dafür interessiert, ob er die Wahrheit sagt oder Lügen verbreitet, dass keiner von ihnen recherchiert hat, wer die Aktivisten, die dort auf der Straße kleben, sind, wie alt sie sind, ob sie erwerbstätig sind oder nicht (das Klischee nämlich ist falsch: es sind nicht nur Studenten unter jenen Aktivisten², welche unsere antiintellektualistische Gesellschaft freilich schon von vorneherein verachtet: – ein Atavismus, denn was hat heutzutage ein Studium noch mit Intellektualität zu tun?).

2) Das zweite Kriterium, mittels dessen man den Ideologen entlarven kann, ist hier, da es um Lügen geht, das interessantere. Denn seine wohlfeile Polemik ist auch verlogen – es ist ja beispielsweise eine Lüge, dass friedliche Demonstranten Terroristen wären –, doch ist die Lüge hier plump und offensichtlich und bedarf der Benennung als solcher kaum. Es gehört aber zum Ideologen auch, dass er stets mit zweierlei Maß misst: Auch das, weil es ihm nicht um die Sache, um Recht oder Unrecht geht, sondern weil er eben aufgrund seiner Ideologie, nicht aufgrund von dessen tatsächlicher Schlechtigkeit, seinen Feind hasst: Er wird diesen Hass zu rationalisieren und zu rechtfertigen suchen und er wird zu diesem Zwecke auf jede noch so kleine, echte oder vermeintliche, Blöße an seinem Feinde und auf jeden, wirklichen oder scheinbaren, Fehl lauern, der an seinen Feinden offenbar wird, um sich sogleich darauf zu stürzen: Und er wird nicht hinschauen, ob dieselbe Blöße, derselbe Fehl auch an anderen, vielleicht auch an ihm selbst sich finden lässt, weil es ihm ja um diesen Fehl eigentlich gar nicht geht, sondern weil er nur einen Vorwand zur Begründung seiner Feindschaft sucht.

Für die lauten Verleumder der Letzten Generation ist solch eine Taktik nicht neu. Es sind dieselben Nazis, die seit Jahren schon jedes Mal anklagend die Stimme erheben, wenn irgendein Flüchtling oder Mohammedaner jemanden umbringt, Schweigeminuten für durch solche getötete Kinder einfordern, aber sich andererseits nicht darum scheren, wenn Tag für Tag atheistische oder christianische Deutsche dasselbe tun. Jüngst erst kam mir mehrfach die Meldung unter, wie ein Mann sich selbst, zuvor aber seine Frau, deren Schwester und seinen Schwager umgebracht habe. Es vergeht keine Woche ohne derartige Nachrichten. Aber wir nehmen sie hin als Einzelfälle. Grausige Einzelfälle vielleicht, aber doch Einzelfälle. Ein Mord eben. Oder „Familiendrama“, wie es dann gerne heißt. Doch wehe, es begeht einmal ein Syrer oder ein Afghane eine vergleichbare Tat, das ist dann kein Einzelfall, kein „Familiendrama“, übrigens auch kein Resultat einer psychischen Störung, nein da ist dann eine ganze Kultur oder eine ganze Glaubensart dran schuld. Die Journaille übrigens – den Luxus, sie als „Lügenpresse“ beschimpfen zu dürfen, hat nur jenes Gesocks, in dessen Sinne sie so oft berichtet – trägt hierzu wesentlich bei mit der Art ihrer Berichterstattung und behandelt ebenfalls das von einem Deutschen begangene Verbrechen als einen Fall, der von der Gesellschaft und den Verhältnissen so isoliert und unbeeinflusst ist, wie ein klassischer Krimi-Mord: es wird nicht der deutschen Kultur oder dem Atheismus des Täters zugeschrieben, es wird auch nicht gefragt, was das für ein soziales Umfeld, für eine Schule, für ein Elternhaus waren, die einen Menschen hervorbrachten, der irgendeines banalen Ärgers wegen seine Frau ermordet.

Da dies schon so geht, so lange ich denken kann, überrascht es mich nicht, wenn eben dasselbe Pack sich eben derselben Taktik nun gegen die Letzte Generation bedient. Schon vor Monaten geisterte der Vorwurf durch die Öffentlichkeit, mit ihrem Festkleben auf den Straßen würden diese Aktivisten Krankenwagen behindert – das mag nun schon wieder vergessen sein, wie ja alles nach einigen Monaten vergessen ist in unserer Öffentlichkeit, aber ich halte es doch für wichtig, festzuhalten, dass der Vorwurf vor dem Vorfall kam und nicht aus diesem erst geboren wurde. Jüngst nun freute man sich aber, endlich auf einen konkreten Fall verweisen und den Vorwurf so erhärten zu können: Eine Radfahrerin, so hieß es, wäre in Berlin nach einem Unfall gestorben, weil ein Rettungswagen zu spät zu ihrer Hilfe kam – aufgehalten durch den Klimaprotest.³ Was hat sich da der Mob an den virtuellen Stammtischen auf Twitter und anderswo nicht empört! Demokratische Politiker, d. i. Menschen, die von Berufs wegen prinzipienlos und nur schäbige Populisten sind, trauerten um die zu Tode Gekommene und forderten ein hartes Durchgreifen gegen die angeblichen Terroristen. Die BILD-Zeitung klagte die „Klima-Kleber“ an, die laut ihrer Hetze das Blut der Radfahrerin an ihren Händen haben, und man darf diese Zeitung ja für eine Autorität auf dem Gebiete der blutbeklebten Hände halten: das durch sie mit vergossene Blut, es sie das Rudi Dutschkes, es sei das der Opfer der „Dönermorde“, dürfte ausreichen, dass sie damit anstatt der Tinte ihre Seiten beschmieren könnte. Die Lüge in alle diesem und damit der ideologische Antrieb hinter den Angriffen liegen dabei so klar am Tage, dass jeder, der erst diesen meinen Text bräuchte, um es zu erkennen, gewiss selbst kein Freund der Wahrheit sein kann.

Man sieht sie einmal darin: Als hinterher mehr und mehr sich herausstellte und schließlich auch von einer Notärztin öffentlich erklärt wurde, dass die Klimaaktivisten, die im Übrigen für Notfälle eine Rettungsgasse freigelassen hatten, gar nicht Schuld am Tode der Radfahrerin waren, da nahm man die vorigen Diffamierungen nicht zurück, geschweige dass man sich für seine Verleumdung und den Prinzipien des Rechtsstaats zuwiderlaufende Vorverurteilung entschuldigt hätte (im Falle der Politiker, die sich hier schuldig gemacht haben, wäre dies allein Grund genug, weshalb sie in einem auch nur annähernd vernünftigen Staate zurücktreten müssten – aber Rücktritte finden ja kaum noch statt, selbst bei gröbsten Lügen oder gewaltigem über das Volk gebrachten Schaden nicht, allenfalls kann es einem Politiker noch gefährlich werden, wenn er nichtige Anstandsregeln verletzt und nach einer Katastrophe in den Urlaub fährt oder bei einem traurigen Anlass lacht, in der Sache aber kann er sich erlauben, was er will, und darauf bauen, sich vor keinem Ephorat verantworten zu müssen, da sowohl Volk als auch Medienschaffende so prinzipienlos sind als er selbst).

Nun könnte ein äußerst Wohlmeinender vielleicht noch, beide Augen zudrückend, zur Verteidigung der Nichtverteidigbaren einwenden: die Aufregung über den Tod einer Unschuldigen und das Mitleid mit dieser wären vielleicht echt gewesen, es hätten nur viele aus eben dieser Aufregung heraus vorschnell gesprochen und wären von dieser so geblendet, dass sie sich auch im Nachhinein nicht korrigieren. Aber noch entlarvender als der Umstand, dass man den Tod einer Radfahrerin zwar dann für sich nutzt, wenn er sich zum Angreifen eignet, dass man aber nicht eingesteht und um Verzeihung bittet, wenn sich herausstellt, dass der Angriff verkehrt war – noch entlarvender, sage ich, ist es, dass man einen solchen Vorfall eben nur nutzt, ja überhaupt nur beachtet, wenn man dadurch Klimaaktivisten angreifen kann. Es sterben ja ständig Menschen im Straßenverkehr. In Berlin beispielsweise kamen die letzten Jahre jeweils durchschnittlich 45 Menschen durch Verkehrsunfälle um, fast jede Woche fällt irgendwo ein Fußgänger oder Radfahrer in dieser Stadt einem Auto zum Opfer.⁴ Dass das nicht sein muss, zeigen Städte wie Oslo oder Helsinki, wo man durch gute Verkehrspolitik die Zahl der Verkehrstoten und speziell der nicht motorisierten Verkehrstoten jüngst auf 0 reduziert hat. Man könnte sich, wenn einem an Menschenleben gelegen wäre, abschauen, was dort getan wurde. Man tut dies nicht, weil einem Verkehrstote gewöhnlich ganz gleichgültig sind (man stemmt sich ja auch noch immer gegen ein Tempolimit, wie es in jedem zivilisierten Land der Erde längst existiert), solange man sie nicht Klimaaktivisten in die Schuhe schieben kann. Es geschieht auch oft genug, dass Rettungskräfte nicht rechtzeitig an einen Unfallort gelangen, weil Staus oder Falschparker sie blockieren. Das scheint man aber als höhere Gewalt zu betrachten und tut es schulterzuckend ab bzw. tut es nicht einmal ab, weil man es gar nicht erst zur Kenntnis nimmt, solange ein Stau eben nicht von Klimaaktivisten ausgelöst wurde. Auch hier genügt eine Google-Suche von wenigen Sekunden und man stößt auf zahllose Berichte über Rettungswagen, denen Falschparker im Wege standen, über Feuerwehrautos, die wegen diesen mit ihren Drehleitern nicht nahe genug an brennende Häuser herankamen, über zugeparkte Hydranten. Wo ist der Aufschrei auf Twitter? Wo die Titelseite, dass das Blut so vieler Unfalltoter oder in brennenden Häusern Gestorbener an den Händen von Falschparkern und anderen Autofahrern klebe? (Um ganz davon zu schweigen, dass ja schon seit Jahren bekannt ist, wie regelmäßig Rettungskräfte auf der Autobahn und anderswo von Gaffern blockiert werden, die diese lieber noch anpöbeln und bedrohen, als ihnen Platz zu machen. Und es bedarf keiner großen Menschenkenntnis, um zu erahnen, dass unter diesen Gaffern viele sein werden, die bei entsprechender Gelegenheit fürchterlich gegen „Klimakleber“ wettern.) – Und dies sind nur die unmittelbar gleichartigen Fälle, d. h. die Fälle, da ebenfalls Menschen sterben, weil die Helfer und Retter blockiert wurden, nur eben dieses Mal nicht um des Klimaschutzes willen, sondern aus reiner Fahrlässigkeit und Schäbigkeit. Aber es gibt ja noch unzählige andere Fälle, in denen Menschen zu Tode kommen, die nicht sterben müssten. Man gedenke nur der allein 7 Millionen Opfer, die die Luftverschmutzung jährlich fordert. Es wäre also, selbst die Sache ganz utilitaristisch angeschaut, doch besser, Autos in den Städten gänzlich abzuschaffen, anstatt ein paar Klimaaktivisten ins Gefängnis zu stecken: ersteres würde nicht nur ein oder zwei Menschenleben, sondern tausende retten, man hätte auf einen Schlag keine Verkehrstoten mehr, keine durch Falschparker blockierten Rettungskräfte mehr, eine sauberere Luft und folglich weniger Lungenkranke – und man hätte sogar obendrein wahrscheinlich noch den Protesten der Letzten Generation ein Ende gemacht, da die Klimaaktivisten sich in autofreien Städten wohl nicht mehr so bald auf die Straßen kleben würden. Es darf aber vermutet werden, dass jene, die am lautesten die vermeintlich Schuldigen beim Tod der verunglückten Radlerin anklagten, auch am lautesten gegen die „Ökodiktatur“ wettern würden, wollte man ihnen fortan verbieten, die Städte mit ihren Autos vollzustellen und zu einem Ort großer unmittelbarer und gesundheitlicher Gefahr zu machen. Und ich will auch des eigentlichen Elefanten im Raume, um mich eines englischen Ausdrucks zu bedienen, nicht unerwähnt lassen: Die Klimakrise, die in den kommenden Jahrzehnten Milliarden in bis dato unvorstellbares Unglück stürzen wird, tötet schon heute Tag für Tag mehr Menschen, als selbst tatsächliche Klimaterroristen, wenn es sie gäbe, es jemals durch einen noch so großen Anschlag vermöchten. Was ist denn mit den 1717 in den vergangenen Monaten bei den Überflutungen in Pakistan gestorbenen Menschen, die hier freilich keine Schlagzeile auf der Titelseite wert sind, sondern alleräußersten Falles eine Randnotiz? Oder den 134 im Ahrtal Gestorbenen, über die nach einigen Wochen Aufregung freilich schon lange niemand mehr spricht? Klebt deren Blut nicht an den Händen aller hiesigen Autofahrer und Urlaubsflieger und Fleischfresser und auch an den Händen von BILD-Schmierfinken und Afterpolitikern? – Aber es versteht sich, an diese Toten glaubt man nicht, wenigstens nicht daran, dass die Klimakatastrophe und folglich die Lebensweise der globalen Elite, welcher wir alle angehören, sie getötet hat: man leugnet ja nach wie vor jegliche Klimakrise.

Man ersieht an alle diesem deutlich – wenn man nicht selbst ein verblendeter Ideologe ist, dem bereits der Geifer vorm Maul trieft und der schon seine empörten „Aber!“s stammelt, indem er meine so klaren und wahren Zeilen liest –: man ersieht an alle diesem deutlich die Verlogenheit all derer, die die Letzte Generation ob eines verlorenen Menschenlebens angreifen. Ja dies ist mehr als gewöhnliche Verlogenheit, es treibt jedem nur einigermaßen Redlichen die Kotze hoch: Hier gerieren sich Die als große Menschenfreunde, die gerade Menschenhasser sind; hier geschieht das gerade Gegenteil von dem, was man vorgibt: während man einen getöteten Menschen zu achten behauptet, missachtet man die verunglückte Radlerin in Wahrheit völlig, man degradiert sie zu einem bloßen Werkzeuge seiner Ideologie, man missbraucht sie, dieweil irgendwo Freunde und Verwandte echte Tränen um sie vergießen mögen, als Kanonenfutter in einem kleinlichen politischen Parteikampf. (Nochmals: Hätte man echtes Interesse, künftig solches Unglück zu verhindern, man würde lautstark eine Verkehrspolitik wie in Oslo oder Helsinki fordern, nicht nur auf irgendwelche Demonstranten schimpfen.) Es gibt viel Böses auf Erden, das vergeben werden kann, und ich bin bei anderen Gelegenheiten der erste, der sich gegen die Verdammung selbst noch von Vergewaltigern und Mördern verwahrt: aber für Jene, die anderer Menschen Leid und Tod für ihre ideologischen und politischen Zwecke instrumentalisieren, dieweil ihnen ihre Mitmenschen eigentlich gleichgültig sind, ist der tiefste Kreis der Hölle zu freundlich.

3) Ein drittes Kriterium zur Entlarvung des Ideologen schließt sich an das zweite an: Wenn nämlich die Vorwürfe, die er, wo immer es geht, gegen seine Feinde ins Feld führt, nicht der wahre Grund sind, weshalb er diese Feinde ablehnt, sondern lediglich ein Vorwand, hinter dem er sich verkriecht: so folgt daraus nicht nur, dass er schweigen wird, wo derselbe Vorwurf Andere als seine Feinde betrifft – es folgt zugleich, dass er nicht schweigen wird, wo sein Vorwurf seine Feinde nicht trifft: er wird stattdessen schlicht einen anderen Vorwurf suchen, eben damit aber zeigen, dass seine Ablehnung nie auf jenem ersten Vorwurf gründete, sondern derselbe nur ein willkommener Vorwand war.

So sprechen Nazis hier in Europa Flüchtlingen ihr Recht auf Asyl heute freilich gerne mit der Begründung ab, der Mohammedanismus, dem viele dieser Flüchtlinge angehören, wäre kulturfremd und übrigens als ein terroristischer Kultus für die hiesigen Gesellschaften gefährlich. Aber dieselben Nazis, wenn sie in den USA leben, wollen als Anhänger der Grand Old Party und des vormaligen US-Präsidenten, dessen Politik auch von den hiesigen Nazis bejubelt und nicht etwa kritisiert wurde, Flüchtlingen aus Südamerika das Asyl in ihrem Land verwehren, obwohl doch von diesen eher nicht anzunehmen ist, dass sich unter ihnen viele Mohammedaner befinden. Derlei zeigt deutlich, dass es eben nur um Rassismus geht und dass man keine Ausländer in sein Land aufnehmen und keinen Menschen in Not helfen möchte. Sind diese Menschen zufällig Mohammedaner, mag man seinen Rassismus mit Ablehnung des Mohammedanismus rechtfertigen, sind sie aber Christianer wie man selbst, so ändert das doch nichts.

Ganz genauso verhält es sich aber mit der Ablehnung von Klimaaktivisten: Freilich, wenn diese Aktivisten so freundlich sind, einem die entsprechende Vorlage zu liefern, wirft man ihnen vor, durch ihren Protest Krankenwagen zu blockieren und Menschenleben zu gefährden. Aber man denke nur zwei, drei Jahre zurück und daran, wie dieselben Ideologen damals über Fridays for Future herzogen: der Tonfall war ganz derselbe, auch die Beschimpfungen klangen ganz ähnlich, die dummen Klimahüpfer und Schulschwänzer hatten noch nie im Leben gearbeitet, hatten keine Erfahrung, hatten keine Stromrechnung zu zahlen und sollten gefälligst zurück in die Schule gezwungen werden. Dabei haben die streikenden Schüler doch nie irgendwelche Straßen blockiert, können also keine Krankenwagen und nicht einmal die „hart arbeitende Bevölkerung“ im Berufsverkehr aufgehalten haben. Man hat sie nicht minder gehasst. Und das zeigt: wie der Nazi eben sämtliche Migranten hasst, nicht nur Mohammedaner, so hasst man eben sämtliche ernsthaften Klimaaktivisten, nicht nur die, die sich auf die Straße kleben.

– Dass die Angriffe auf die Klimaaktivisten, die sich auf die Straßen kleben, verlogen sind, dass es hier nicht um die Sache geht, sondern um Ideologie, dass man nicht Menschenleben schützen will, sondern deren Verlust nur als willkommenes Propagandafutter nimmt (mit ganz derselben Mobmentalität, die im Mittelalter Pogrome gegen Juden ausbrechen ließ, wo ein christianisches Kind gestorben war, welcher Tod doch nur ein Vorwand war, den man vor einen vorher längst vorhandenen Judenhass schob), das liegt alles klar am Tage. Aber mit dem Aufdecken einer Lüge ist es nicht getan, man hat auch zu fragen, was hinter ihr verborgen liegt. Denn eine Lüge ist ja, wie alles Böse, nie Selbstzweck – Selbstzweck kann nur das Gute sein. Eine Lüge soll immer eine Wahrheit verbergen: Der Schüler, der dem Lehrer sagt, der Hund habe seine Hausaufgaben gefressen, will damit eben verstecken, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Was also, so ist zuletzt zu fragen, versteckt diese Lüge?

Der fortschreitende ökologische Zusammenbruch ist längst an einem Punkte, da sich jede noch so leise Kritik an noch so extremen Protestformen oder Maßnahmen völlig verbietet, der Kritiker hätte denn zugleich mit seiner Kritik einen Vorschlag ausgesprochen, wie man es besser machen und mehr oder wenigstens ebenso viel erreichen kann. Solche Vorschläge bleiben aber kurioserweise ganz aus. Sie bleiben aus nicht nur von Seiten der laut grölenden Verächter der Klimaaktivisten, von denen man sie gar nicht erst zu erwarten braucht, sondern auch deren wirrationale und sich einen seriöseren oder sympathisierenden Anschein gebende Kritiker verzichten auf solche, wenn sie sagen: Klimaprotest sei ja durchaus richtig und wichtig, Klimaschutz sollte freilich stattfinden, aber das Festkleben auf der Straße bringe doch nur die gemeine Bevölkerung gegen die Aktivisten und damit gegen die Sache selbst auf und schade somit mehr als es nutze. Ich will wohlgemerkt dieser Behauptung hier gar nicht widersprechen – ob sie stimmt oder nicht, interessiert mich an dieser Stelle nicht –, aber fest steht doch: Ein ruhiger Protest, eine angemeldete Demonstration, die dann nicht mehr als eine kleine Meldung irgendwo auf den hinteren Seiten einer Zeitung abgibt, nützt der Sache ebenso wenig – und schadet ihr damit, da es sich um eine Sache handelt, in der alles, was nicht nützt, schadet. Dieselben altklugen Wirrationalen haben ja übrigens vor ein paar Jahren den Schülern von Fridays for Future den gutgemeinten Rat erteilt, doch am Samstag zu demonstrieren, wenn sowieso keine Schule sei, dann würde man ihren Protest ernster nehmen, da sie dann ihre Freizeit opfern würden und ihnen niemand vorwerfen könnte, nur die Schule schwänzen zu wollen. Ich unterstelle: statt den Protest ernster zu nehmen, hätte man ihn dann einfach ignoriert. Keiner derer, die Klimaaktivisten kritisieren, es seien nun die Aktivisten der Letzten Generation, von Fridays for Future, von Extinction Rebellion oder welche Aktivisten auch immer, und es sei unter welchem Vorwande auch immer, wobei die Instrumentalisierung von tödlichen Unfällen ja nicht der einzige, sondern bestenfalls der ekligste ist, schlägt diesen aber jemals vor, welche andere Protestform statt eines Festklebens auf der Straße, eines Schulstreiks, eines Bewerfens von Gemälden mit Tomatensauce etc. sie denn wählen könnten, welche gleichermaßen viel Aufmerksamkeit bekommen würde. Der letzte Teil meines Satzes ist entscheidend. Denn so vieles man auch, ob zu Recht oder zu Unrecht, an den gewählten Protestformen der letzten Jahre kritisieren will, Fakt ist, dass das stattdessen geforderte klassische ruhige Demonstrieren davor Jahre nicht funktioniert hat, ja Fakt ist, dass über vier Jahrzehnte ohne einen solchen Protest, wie wir ihn heute erleben, der Klimawandel wissentlich immer weiter bis zur ausgewachsenen Klimakrise vorangetrieben wurde, dass wir diese Krise also gewiss jetzt nicht mehr eindämmen werden, wenn Aktivisten sich darauf beschränken, nur brav „bitte, bitte, wenn es euch keine allzu großen Umstände macht“ zu sagen. Aber es scheinen doch all diese Ratschläge und es scheint all die Kritik wieder und wieder auf das Eine hinauszulaufen: Jegliche Form des Klimaprotests ist aus irgendeinem Grunde verkehrt, die irgendwelche echte Aufmerksamkeit für die Klimakatastrophe schaffen könnte, die Menschen wirklich aufrütteln könnte, ja die in irgendeiner Weise stört, anstatt den klimaschädlichen Alltag ruhig und gedankenlos weiter vor sich her laufen zu lassen.⁵

Man gewinnt viel Klarheit und die ganze Welt rückt in ein anderes Licht, wenn man sich gewöhnt, den Menschen jederzeit zu unterstellen, in Wahrheit nicht Das zu wollen, was sie zu wollen vorgeben und vielleicht selbst zu wollen meinen – das wäre hier die Bewahrung eines Menschenlebens –, sondern Das zu wollen, was sie mit ihrem Tun tatsächlich befördern und erreichen. Was also, nochmals gefragt, verbirgt die hier aufgedeckte Lüge? Dass die Feinde der Klimaaktivisten selbst ebenfalls Aktivisten sind: Aktivisten für den Klimawandel, Aktivisten für den Zusammenbruch unserer Zivilisation: Aktivisten gegen die Menschheit und gegen das Recht auf Leben, Opfer und Verbreiter der emotionalen Pest.

1 Der in Deutschland seit Jahren von rechts ausgeht, ob in Halle, in Hanau, durch den NSU, im Falle Walter Lübckes usw., nicht von Klimaaktivisten.

2 Selbst das bloße Lesen der erstbesten Schlagzeilen, die eine Google-Suche ausspuckt, genügt hier, es besser zu wissen: „Mama hinter Gittern – Klimaaktivistin sitzt für voraussichtlich 30 Tage in Stadelheim“, „Letzte Generation: Ich saß mit meiner Mutter zusammen in der Zelle“, „Letzte Generation: 59-jähriger Klimademonstrant aus Bayern vor Gericht“, so liest man da. Der älteste Aktivist der Letzten Generation soll übrigens der 72-jährige Ernst Hörmann sein, der für seine acht Enkelkinder kämpft und einer der ganz wenigen Christen in diesem Lande ist, in dem sonst bestenfalls nur Christianer leben, die, hätten sie zu Jonas Zeiten in Ninive gewohnt, die Stadt wohl hätten untergehen lassen. Unter denen, die in Bayern ohne rechtsstaatliches Verfahren für dreißig Tage weggesperrt wurden – immerhin, wir sind hierzulande so zivilisiert, dass wir Klimaaktivisten noch nicht ermorden, wie es im Regenwald geschieht –, ist eine 42-jährige Mutter eines neun- und eines zwölfjährigen Kindes. Freilich, Studenten und selbst eine neunzehnjährige Schulabbrecherin gibt es unter den Aktivisten ebenfalls. Dennoch reicht das hier Geschriebene doch, um die immer gleichen Tiraden gänzlich zu entkräften, das wären alles faule Studenten ohne Lebenserfahrung, die noch nie eigene Rechnungen hätten zahlen müssen und noch nie im Leben einen Tag gearbeitet hätten und die nun mit ihrer grünen Ideologie alles kaputtmachen wollten, was die hart arbeitende Bevölkerung über Jahrzehnte aufgebaut habe. Gehört Herr Hörmann nicht zu eben jener Bevölkerung, die dieses Land aufgebaut hat? – nur dass er es im Gegensatz zu den meisten seiner Altersgenossen wohl nicht nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“ zugrundegehen lassen möchte. Sind nicht jene Eltern, die für die Zukunft ihrer Kinder sogar das Gefängnis und vielleicht den persönlichen Ruin auf sich nehmen, Menschen, die wissen, was es heißt, erwachsen und für sich – und überdies noch für andere verantwortlich zu sein, und muss man nicht stattdessen an den Herzen jener Rabeneltern zweifeln, die solches für ihre Kinder nicht tun? Auch hier wird eben wieder die Lüge offenbar: Es geht nicht um hart arbeitende Menschen. Es geht nicht um normale Bürger. Es geht nicht um Rentner, die ihr ganzes Leben lang für dieses Land geschuftet und es mit aufgebaut haben, welche man freilich gerne geradezu zu Heiligen erhebt, wenn man sie etwa gegen Flüchtlinge ausspielen kann. Nein, gerade solche Menschen kleben sich nun auf die Straßen – und man ist nicht einmal bereit, es zur Kenntnis zu nehmen (wo man einmal gezwungen ist, es doch zu tun, bekennt man nicht sein Fehlgehen, sondern vergisst seine sonstige Rhetorik einfach: da wird dann etwa unter einem Artikel, der vom rechtswidrigen Wegsperren einer Mutter berichtet, der ihrer Kinder Leben nicht ganz gleichgültig ist, wüst vom Jugendamt phantasiert, das einer solchen Mutter die Kinder wegnehmen sollte, wobei freilich keiner die Kinder selbst fragt, die hierunter wahrscheinlich schwer leiden würden, weil es eben gar nicht um die Kinder geht, sondern nur um den eigenen ideologischen Hass; man müsste andernfalls ja auch fragen, ob nicht eher all den Millionen Eltern die Kinder wegzunehmen wären, die wissentlich diesen die Hölle auf Erden bereiten).

Aber dieselben Menschen, die als moralische Egoisten ihre persönlichen Triebe über die gesamte Menschheit stellen, sind eben auch logische Egoisten: Sie schauen nicht hin, sie leben lieber in und krakeelen lieber heraus aus ihrer kleinen Phantasiewelt, die ihre Einbildungskraft mit einem wirklichkeitsfernen Zerrbild der von ihnen beschimpften Aktivisten bevölkert hat, als sich fünf Minuten damit auseinanderzusetzen, wer diese Aktivisten wirklich sind. Aber dann würde man lesen, wie Lina Eichler, die ihr Abitur abgebrochen und vorerst auf jegliche Karriere verzichtet hat, spricht: „Eigentlich mache ich das Ganze nur aus Liebe zu meinen Mitmenschen.“ (Im Bericht von Emily Bader in der Süddeutschen Zeitung „Wir handeln aus Verzweiflung“ vom 25.2.2022.) Man würde lesen, wie die Helden und Märtyrer, die wider jedes Recht und ohne Gerichtsverfahren ihrer Freiheit beraubt wurden, schreiben, was ebenso gut die Weiße Rose hätte schreiben können: „Lieber sind wir Straftäter vor dem Gesetz als mitschuldig am größten Verbrechen der Menschheit.“ und: „Kündigt auch ihr die Komplizenschaft auf!“ (Judith Beadle, Miriam Meyer, Charlotte Schwarzer und Elena Thor: Brief aus der JVA Stadelheim vom 13.11.2022.) – Kurz und gut, man müsste dann eingestehen, dass die, gegen die man hier mit einem so selbstentwürdigenden Ärger anschreit, die unendlich edleren und wertvolleren Menschen sind.

Man hat es hier aber mit einem Grundprobleme zu tun, das all unsere öffentlichen Debatten oder vielmehr all das Marktgeschrei und Gekeife kennzeichnet: Die Oberflächlichkeit und das Wegschauen, die nicht einmal als Problem wahrgenommen werden, da zu ihnen noch ein völliger Mangel an Selbstreflexion hinzutritt. Die Menschen reden beständig von Dingen, Personen, Themen usw., von denen sie schlechterdings nichts wissen. Wie kann es sein, dass man eine Greta Thunberg, einen der fröhlichsten, humorvollsten und unbeschwertesten Menschen in der Öffentlichkeit für eine empört schimpfende Göre hält? Wie kann es sein, dass man den Koran, in dem lauter Klarheit, Schönheit und Lebensfreude walten, für eine rückständige und unterdrückerische Hetzschrift nimmt? Wie kann es sein, dass man meint, bei der so bunt gemischten Letzten Generation, der besorgte Rentner ebenso angehören wie Eltern, die Arbeit und Karriere für die Zukunft ihrer Kinder aufzugeben bereit sind, gäbe es nur verwöhnte und gelangweilte Studenten? Weil man eben nicht hinschaut. Und wie viele werden nun wiederum aus vagem Hörensagen und aufgewühlter Einbildungskraft über mich empört irgendeinen Unsinn zusammenfaseln, anstatt sich mit mir auseinanderzusetzen? Nichts, wirklich nichts wird auf Erden besser werden, solange nicht unsere öffentlichen Debatten aufhören, ein einziges großes Gemeine zu sein und die Egozentrik wenigstens weit genug abnimmt, dass wir bereit werden, der Wirklichkeit einen höheren Platz einzuräumen als unseren blinden Vorstellungen. Und man täusche sich hier nicht: Alle Seiten, alle Ideologien sind hier gleichermaßen schuldig. Ich habe noch keinen Rechten, der auf die Letzte Generation schimpfte, sich mit dem Brief der eingesperrten Aktivisten auseinandersetzen oder auch nur dessen Existenz erwähnen sehen. Aber ebenso wenig habe ich bisher erlebt, dass irgendein Linker, der sich beispielsweise über Rowlings Position zu Transsexuellen aufregte, mit ihrem klarstellenden Essay auseinandergesetzt oder dessen Existenz auch nur erwähnt hätte. Eine eigentliche gesellschaftliche Debatte, ein wahrhafter Dialog findet nicht statt. Wir reden über andere Menschen, aber, auch und gerade dann wenn sie sich als äußert gesprächsbereit zeigen, wir reden nicht mit ihnen. Freilich: Mit ihnen reden, das würde voraussetzen, sie bei allem Widerspruch wenigstens als Menschen anzuerkennen, und derlei tut der Faschist nicht, solange er eben Faschist ist.

3 Die beiden Aktivisten, gegen die die Polizei deshalb Ermittlungen aufnahm, sind übrigens 63 und 59 Jahre alt – beschimpft wurden dennoch einmal mehr arbeitsscheue Studenten, die nichts zu diesem Lande beitrügen. Wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, dass jemand um die 60 noch einmal studiert, scheinen diese beiden Protestierenden doch nicht ins Schema zu passen, das man sich so bequem zurechtgelegt hat. 

4 Ein solcher Fall wird gerade in Berlin vor Gericht verhandelt: Im April hat ein 60-jähriger Unternehmer ein elfjähriges Mädchen totgefahren, das eine Ampel überquerte. Für Autos stand die Ampel noch auf Rot, er aber hat nicht angehalten, ja nach Zeugenaussagen habe er sogar noch beschleunigt. Vor Ort soll er sogleich mit der Polizei diskutiert haben und wollte offenbar vor allem seinen Führerschein behalten. Als der Vater des getöteten Mädchens ihm einen Brief schrieb, warum er nur bei Rot über die Ampel gefahren sei, da reagierte er nicht, als der Vater ihn daraufhin an seinem Haus aufsuchte, erklärte er über den Zaun hinweg, er, der Täter bräuchte ja nun auch psychologische Hilfe, und verwies ansonsten auf seinen Anwalt, der dem Vater darauf für den Fall weiterer Dialogversuche mit einer Unterlassungsklage drohte. Die Anwälte der Eltern bereiten diese unterdes darauf vor, dass in solchen Fällen eine Bewährungsstrafe oder gar nur eine Geldstrafe wahrscheinlich sei, in welchem Falle der Fahrer weder vorbestraft wäre, noch seinen Führerschein einbüßen würde. Ein kleiner Artikel in der Zeitung berichtet hierüber, keine Schlagzeile. Einen öffentlichen Aufschrei gibt es nicht. Politiker nehmen von dieser Geschichte keine Notiz und äußern sich nicht.

Solche Fälle ließen sich sehr leicht verhindern. Indem man alle Autos aus der Stadt verbannte. Oder indem man wenigstens eine bessere Verkehrspolitik betriebe. Und wo sie nicht verhindert werden, wäre es das mindeste, einen solch gemeingefährlichen Menschen wortwörtlich aus dem Verkehr zu ziehen, indem man ihm den Führerschein nimmt. Nichts dergleichen fordern aber Diejenigen, die sich, wenn die vermeintlichen Schuldigen nicht irgendwelche besitzenden Unternehmer, sondern eben Klimaaktivisten sind, so lautstark aufregen.

Und fangen wir nicht erst von anderen Dingen an als von Verkehrstoten! Es gibt sehr große Überschneidungen zwischen jenem Gesocks, das gegen die Protestierenden der Letzten Generation hetzt, und zwischen Denen, die sich so gerne als Verteidiger unschuldiger Kinder aufspielen: die „Todesstrafe für Kinderschänder!“ fordern, die Schweigeminuten ausrufen und alle Ausländer aus Deutschland verbannen möchten, wenn ein einziger Flüchtling einmal ein Kind ermordet, und die so gerne, wenn Kinder zu Schaden kommen, die „deutsche Kuscheljustiz“ beklagen. In diesem Falle aber und in hundert anderen, da schweigen diese Verächtlichen, die damit zeigen, dass sie sich nicht zu schade sind, vergewaltigte oder getötete Kinder, wenn es gerade passt, für ihre Ideologie zu instrumentalisieren, dass ihnen aber ansonsten Kinderleben ganz gleichgültig sind (sonst würden sie ja auch, selbst als Klimawandelleugner, die sie sind, ihren Konsum überdenken und keine Kleider oder Smartphones kaufen, an denen Kinderblut klebt).

Es reicht bei einem Thema wie diesem nicht, mit dem nüchternen Verstande aufzufassen, dass hier gelogen und geheuchelt und instrumentalisiert wird. Man muss die Lüge spüren, sie muss einem physischen Ekel bereiten, anders ist man selbst gewiss kein sittlicher Mensch und Freund der Wahrheit.

5 Es gibt gewisse Kritiker des Klimaprotests und insbesondere Greta Thunbergs, gerade in YouTube-Kommentaren und an vergleichbaren internationalen wie anonymen Orten, die bekunden, in Wahrheit große Freunde der Natur zu sein, aktivistischen Gruppen wie Fridays for Future aber vorwerfen, nur zu reden und sich ins Rampenlicht zu stellen, anstatt anzupacken und wirklich etwas zu verbessern – und man stellt dagegen „echte“ Helden des Umweltschutzes, wie es heißt, nämlich diese oder jene Person, die soundsoviele Bäume gepflanzt habe. Dieser Fetisch fürs Bäumepflanzen, der seit einiger Zeit bei gewissen Kritikern zu beobachten ist, er hat ganz denselben Hintergrund wie das oben Besprochene: Denn so lobenswert das individuelle Engagement dieses oder jenes, zumal oft in einem armen Entwicklungsland lebenden Umweltaktivisten sein mag, der persönlich tausende von Bäumen gepflanzt hat, es kann doch den Klimazusammenbruch nicht stoppen – selbst wenn man so viele Bäume nachpflanzen könnte, wie sie stündlich im Amazonas abgeholzt werden, sind solche neugepflanzten Bäume ja erst nach vielen, vielen Jahren so groß wie die gefällten, ganz zu schweigen davon, dass freilich auch Millionen Bäume nicht ausgleichen, wie viele Treibhausgase wir nach wie vor ausstoßen, und kein Weg vorbeiführt an einem Ende dieses Ausstoßes. Aber: So ein Bäumepflanzer, am besten noch in Afrika oder Asien, der stört eben nicht, wie es eine Thunberg tut, die die Folgen unserer Lebensweise benennt, und man bejubelt ihn vielleicht nicht so sehr als Helden, weil man so ein Naturfreund ist und an sich solches Interesse an den gepflanzten Bäumen hat, sondern weil man hier hintenrum eben wieder eine Form von Aktivismus als einzig richtige und legitime und wirksame hinstellen kann, die unseren zerstörerischen Lebensstil unangetastet lässt und uns nicht aus unserem Alltagstrott zu rütteln droht.