Morgen ist ein unrühmliches Jubiläum: Genau drei Jahre wird es dann her sein, dass eine Direktorin, die ihr Amt innehat, obwohl sie nachweislich nicht die Voraussetzungen erfüllt, die ein Direktor in Berlin laut dortigem Schulgesetz angeblich zu erfüllen hat, was aber dem neuköllner Schulamt sowie dem berliner Senat nachweislich gleichgültig ist, an einer neuköllner Schule den Schülern eine von mir unterrichtete Aufklärungs-AG raubte, um sie durch eine Verfinsterungs-AG zu ersetzen, dies, weil ich Wahlwerbung von Giffey, damals noch neuköllner Bürgermeisterin, kritisch beantwortet hatte. Ich verfasste Ende 2016 einen offenen Brief, der die Öffentlichkeit über diese Vorgänge in Kenntnis setzen sollte; es erscheint mir passend, ihn gerade jetzt zu veröffentlichen.

Es ist mein Grundsatz, mein öffentliches Reden und Schreiben in den Dienst der Aufklärung zu stellen, von mir als Privatperson, von meinen Meinungen, meinen Zu- und Abneigungen und meiner Biographie hingegen zu schweigen. Weshalb also zerre ich diese biographische Episode vor das Forum des Publikums? In der Tat wäre es vorzuziehen, ein Anderer, der nicht selbst zugleich Partei ist in diesen Händeln, spräche hierüber. Doch dies geschieht nun einmal nicht, denn alle Anderen, die hierfür in Frage kämen und deren Aufgabe dies wäre, sind ohne Ausnahme Feiglinge ohne jedes Pflichtgefühl. Gesprochen aber soll über diese Sache öffentlich werden und so fällt die Pflicht eben mir zu. Meinen Grundsätzen werde ich damit nicht untreu, ebenso wenig wie etwa durch mein Tagebuch der Unaufgeklärtheit, in dem ich schließlich auch selbst Erlebtes festhalte: Ich spreche nicht, um ausgerechnet von mir und nicht gerade irgendeinem Anderen zu sprechen, sondern ich spreche, um an dem, was ich von mir erzähle und was ich nun einmal allein aus erster Hand kenne, aufzuklären. Im vorliegenden Falle geht es um eine zwiefache Aufklärung:

Es geht zum einen um Aufklärung im niedersten Sinne, in dem das Wort genommen werden kann: In dem Sinne, in dem es gebraucht wird, wenn man den Sexualkundeunterricht als Aufklärung der Kinder bezeichnet oder wenn man im Militärischen von einer Aufklärungsmission spricht: Es soll über bisher im Dunkeln liegende Tatsachen Licht verbreitet werden. Dies ist der niederste Sinn, in dem das Wort verstanden werden kann, sage ich, denn es geht hier nicht um die Denkungsart, nicht um das Ethos, mit dem jemand dem Leben begegnet, es geht bloß um die Beseitigung einer falschen Kenntnis oder einer schlichten Unkenntnis. Und doch ist auch diese Aufklärung im niedersten Sinne nicht zu verwerfen, sondern hat ihren Platz. Der Mensch soll nicht in Unkenntnis durchs Leben gehen. Und oftmals kann die Erweiterung seiner Kenntnisse, kann das Erfahren gewisser Fakta ihm Grundlage und Hilfe zu seiner Aufklärung im höheren Sinne sein.

Die Sache, über die ich hier aufklären möchte, das sind die Zustände, die an manchen unsrer Schulen, die auf unseren Ämtern und in der Politik herrschen und das ist eine Politikerin, die immerhin seither zur Bundesministerin aufgestiegen ist und über deren wahres Wesen, obwohl es ihr doch ins Gesicht geschrieben ist, viele Oberflächliche sich täuschen. Der Öffentlichkeit über derlei zu berichten, ist nicht Aufgabe des Philosophen, sondern des Journalisten. Diese aber kommen ihrer Aufgabe nicht nach – eine Schreiberin der taz schien zu meinen, man könne über nichts berichten, was erst der Recherche bedürfte, obwohl diese doch gerade zur Arbeit des Journalisten gehören sollte (aber der Unaufgeklärte ist eben faul und will nicht arbeiten), eine andere, die für Bildung und Schule zuständige Redakteurin, erklärte rundheraus, was Schüler über ihre Lehrer zu erzählen hätten, interessiere sie nicht, erwies sich also als ganz gemeine Rassistin. Die Berliner Zeitung hüllte sich schlicht in Schweigen. Wo die Journalisten Missstände und Skandale nicht aufdecken, wie sie es eigentlich tun sollten, da fällt die Pflicht hierzu jedem zu, der von diesen Missständen und Skandalen weiß, auch wenn sein eigentliches Geschäft ein anderes sein mag. Nun, was ich weiß und wovon die Vernunft fordert, dass die Öffentlichkeit es erfahre, zu welchen Urteilen sie auch gelangen mag, ist Folgendes:

Es gibt eine Schule, da werden Schüler schikaniert und gedemütigt, dass sie sich ohnmächtig fühlen oder weinend nachhause kommen, da werden Schüler für ihre Herkunft, ihren Glauben oder ihr Geschlecht angegriffen, da werden Schüler, die äußern, etwa Medizin studieren und Arzt werden zu wollen, ausgelacht, das könnten sie sich abschminken, sie kämen schließlich aus Neukölln, da werden Schüler, die sich auf eine Frage melden, angefahren, sie sollten den Arm runternehmen und zuhören, sie hätten ja doch keine Ahnung, da wird Schülern von ihren Lehrern ins Gesicht gesagt, man werde alles tun, damit sie in einer Prüfung durchfallen oder damit sie von der Schule fliegen. Vorgänge, die, soweit sie nicht von der Schulleitung selbst ausgehen, dieser oft nicht zu Ohren kommen, da die Schüler sich von dieser keine Hilfe erhoffen. Die Schulleiterin dieser Schule sucht mit den dortigen Menschen nicht den Dialog, sondern scheinbar nur den Krieg: wo es auch geht, schafft sie unnötige Konflikte, bei geringsten Anlässen schreit sie Schüler, Eltern oder Mitarbeiter nieder, erteilt Hausverbote, droht mit Anzeigen, Schüler werden von ihr statt gefördert und begleitet, in ihrem Lebensweg und ihrer Selbstständigkeit behindert, wollen sie sich freiwillig weiterbilden oder sozial engagieren, wird ihnen dies oft mit hanebüchenen Begründungen verwehrt. Und dies ist noch nicht das Übelste, was ich erzählen könnte; manches, was sich an jener Schule abspielt oder was ihre Leitung von sich gibt, könnte ich mir für keinen Roman ausdenken: die Leser müssten ihn abgeschmackt und unglaublich finden. (Ich könnte diese Geschichte zum Aufhänger nehmen für einen meiner Beiträge in der Kategorie Lügen: Wenn wir Frauen mit Kopftuch grundgesetz- und vernunftwidrig verwehren, als Lehrerinnen zu arbeiten, so geschieht es aus Rassismus und aus keinem anderen Grunde. Eine angebliche Gefahr, Solche könnten unsere Werte nicht vertreten, ist nur vorgeschoben: Denn hier vertreten mehrere Lehrer, vertritt eine Schulleitung jene ach so wichtigen Werte nicht, ja hat sich eine Schulleiterin im Beisein ihres Stellvertreters und ohne einen Einwand seitens desselben gegen das Prinzip der Menschenwürde ausgesprochen, das doch der erste unter jenen Werten ist – nur sind alle diese Menschen Deutsche und tragen keine Kopftücher; und ein jeder, der behauptet, dass irgendetwas anderes an einem Lehrer Politik oder Öffentlichkeit interessierte, ist naiv oder selbst ein Lügner.) Und dann gibt es eine Politikerin, die als Bürgermeisterin Kritik mit Angriffen und Unterstellungen beantwortete, ohne sie überhaupt recht gelesen zu haben, die junge Menschen vor einer Wahl zu einem Gespräch ein-, nach der Wahl aber wieder auslud, die die Kritik eines Bürgers an seine Arbeitgeberin weiterleitete: Eben vorgenannte Schuldirektorin, die mich hinauswarf und die dank einer Rechtslücke tun konnte, was ohne dieselbe kein Arbeitsgericht ihr hätte durchgehen lassen. Die SPD Neukölln weiß über Giffeys Machenschaften Bescheid, stellte sich aber freilich nicht gegen diese. Die taz und die Berliner Zeitung wissen über diese Machenschaften und die Zustände an jener Schule Bescheid, halten sie aber wohl keines Berichtes für wert. Bescheid wissen auch die Schulverwaltung in Neukölln, das Abgeordnetenhaus und die berliner Bildungssenatorin. Beschwerden gab es mehrere von den verschiedensten Personen, geschehen ist niemals etwas. (Immerhin, man sucht nun insgeheim – es ist nicht vorgesehen, dass ich dies weiß oder öffentlich ausplaudere – einen Konfliktlotsen (bzw. Studiendirektor zur Koordinierung schulfachlicher Aufgaben, wie der Verwaltungsname lautet, der wie stets eine gehörige Lachnummer ist), der der Direktorin auf die Finger schauen könnte; aber ernsthaft verantworten musste sie sich trotz aller Beschwerden bisher nicht, auch bestand nie die geringste Gefahr, dass sie ihre zweijährige Probezeit nicht bestehen könnte, nach der Staat und Steuerzahler einen Direktor nicht mehr loswerden, höchstens noch versetzen können.)

Zum zweiten aber eignet sich diese ganze Angelegenheit auch zur Aufklärung in jenem höheren Sinne, um den es mir zu tun ist. Abstrahiert man von den konkreten Personen, dem konkreten Orte und dem konkreten Vorfall – die können niemanden interessieren, der nicht unmittelbar mit ihnen zu schaffen hat – und nimmt all dieses exemplarisch, so kann man vieles daran lernen.

Da ist eine Schule, mit deren Leitung zwar niemand, von dem ich wüsste, zufrieden ist, sodass Lehrer und andere Mitarbeiter vor den Schülern über ihre Direktorin herziehen oder anderswo zu arbeiten beschließen, während Schüler unglücklich sind und resignieren –, an der aber auch so gut wie niemand sich ernstlich für einen Wandel einsetzt. Einige wenige mögen sich einmal mit ihrer Schulleitung anlegen oder sich bei höherer Stelle beschweren, aber dies tut zumeist nur, wer selbst unmittelbar betroffen ist, und auch von jenen längst nicht jeder. Den Schülern ist Schule ohnehin ein halbes Gefängnis, aus dem sie zum Glück nach einigen Jahren befreit sein werden und durch das sie irgendwie ohne allzu große Beschwerden hindurchzukommen suchen, ein Wille zur Gestaltung liegt bei ihnen nicht vor, und das hat man nicht schlicht ihnen, die gleichwohl auch keine bloßen Opfer und damit nicht frei von Schuld sind, das hat man unserem Schulsysteme anzulasten. Die Schüler in Neukölln zumal spüren wohl, dass sie in einer Kolonie, wenn auch in einer innerterritorialen, leben, dass sie Geduldete, aber nicht Willkommene sind und dass dieser Staat nicht ihr Verbündeter, sondern der Verbündete ihrer Unterdrücker ist; ihn um Schutz vor jenen zu ersuchen, fiele den meisten von ihnen niemals ein; freilich sollte man nicht solche Zustände schaffen und dann von Integration faseln bzw. den Ausländern in diesem Staate einen Mangel derselben vorwerfen. Die Lehrer auf der anderen Seite sind in ihrer Mehrzahl ohne Verantwortungsgefühl oder Mut. Es gibt einige, die nicht selbst die Sau rauslassen, was wohl möglich ist und von anderen auch getan wird, einige, die nett und freundlich zu ihren Schülern, vielleicht sogar als Lehrer und auch politisch engagiert sind. Aber wer von seiner Schulleitung schikaniert wird, hat von ihnen mehr als ein paar hohle Worte, man finde diese oder jene Entscheidung auch nicht glücklich, oder ein paar wertlose Ratschläge nicht zu erwarten. Viele Lehrer verschließen die Augen vor dem, was geschieht, oder reden es sich schön, verwenden all ihre Kräfte darauf, Ausreden und Rechtfertigungen für Missstände zu suchen, statt darauf, diese Missstände zu bekämpfen. Man könnte manches am Beispiel jener Schule über Diktaturen lernen. Darüber, dass wir nicht vorschnell meinen sollten, heute weiter und besser gesinnt zu sein als die Menschen früherer Tage oder anderer Nationen. Darüber auch, wie Diktaturen bestehen können, dass nicht ihre enthusiastische Bejahung durch die Mehrheit sie trägt, sondern schon das Fehlen jeder echten Bejahung von etwas Anderem: Dass eine Diktatur durchaus von Menschen getragen werden kann, die selber freundlich und die demokratisch und sozial gesinnt sind, dass keine dieser Eigenschaften mit echter Sittlichkeit, mit festen Prinzipien und unerschütterlichem Idealismus verwechselt werden darf.

Lehrreich sein könnte auch ein Blick auf die beteiligten Personen. Die Schulleiterin jener Schule mag zwar in inhaltsleeren Reden immer wieder Phrasen und Klischees aneinanderreihen und auch mal bei einer Abiturszeugnisverleihung tönen, die Schule lehre die Schüler ja kritisches Denken, ihr eigenes kritisches Denken bewegt sich aber in derart engen Grenzen, dass sie ihre Schüler ermahnt, wenn diese nicht anständig genug gekleidet sind, oder dass sie dem rassistischen Glauben an die Lebenserfahrung der Älteren anhängt. Sie ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass man, bloß dadurch, dass einem etwas zustößt, eben keine Erfahrungen sammelt, sondern dass hierzu noch ein eigenes Verarbeiten des Erlebten treten müsste: Immer wieder behauptet sie, keine Zeit gerade für die Pflichten zu haben, die ihr Amt und die Vernunft ihr auferlegen, aber wie alle, die sich keine Zeit gönnen, verliert sie gerade hierdurch Zeit: die Konflikte, die sie oft genug auslöst, weil sie einem derer, für die sie die Fürsorgepflicht hätte, keine fünf Minuten zu widmen bereit ist, kosten sie Stunden, ja Tage und Wochen, und selbst wenn das Schulamt sich bei jeder Beschwerde auf ihre Seite schlägt, kann es doch kein Vergnügen sein, ständig vor diesem Rechenschaft ablegen zu müssen. Wer diesen Menschen betrachtete, könnte jemanden sehen, der sich aufs Leben, das nicht plan- und beherrschbar ist, sondern das den Dialog fordert – und erst dieser Dialog, dieses Einlassen auf ein Du ist es, woran ein Ich sich ausbilden kann, ohne Du, wie die Wissenschaftslehre erweist, muss ein Ich verkümmert und unentwickelt bleiben –, der sich auf dieses Leben nicht einlässt, der es stattdessen zu kontrollieren sucht und der daran scheitert, scheitern muss, wie alle, die Kontrolle über das Leben erstreben, weil sie zu träge und zu ängstlich sind, um es zu leben – und der ob dieses Scheiterns regelmäßig in Rage gerät und dabei sich und anderen schadet. Derweil ist ihr Stellvertreter darauf bedacht, dass jeder wisse, wie verständnisvoll und anständig er doch ist, und möchte gerne überall lieb Kind sein, auch soll jedermann anerkennen, wie hart er doch für die Schule arbeitet und welche Opfer er doch bringt. Nur ist es seltsamerweise immer wieder so, dass er auf der Seite der Macht und dass er den Schwachen und Hilflosen nicht beisteht, auch wenn seine Position ihm dies erlaubte. Er will auch gerne ein Doktor sein und bindet es bei jeder Gelegenheit den Leuten auf die Nase, wie belesen er doch ist – und gibt hierin eine vortreffliche Illustration für die Bemerkung Nietzsches ab, dass Kennen nicht Können ist: Denn er will Arendt gelesen haben, die doch die Banalität des Bösen beschrieb; für dieses Phänomen nahmen meine Schüler stets gerade ihn als Musterbeispiel, denn diese Banalität des Bösen besteht ja darin, dass jemand Böses nicht aus Hass oder persönlicher Bereicherungssucht oder dergleichen, sondern aus Gedankenlosigkeit tut, dass jemand seine Befehle befolgt, statt sie zu hinterfragen, vor allem dass jemand unfähig oder unwillens ist, den Anderen als ein menschliches Wesen von eigenen Interessen zu betrachten und sich je vorzustellen, was mit diesem Anderen sein könnte. Und wie könnte ein Mensch, der Arendt tatsächlich gelesen hätte, je darauf verfallen, sein und seiner Vorgesetzten Tun nicht damit zu rechtfertigen, dass es gut und richtig und von der Vernunft geboten, sondern damit, dass es alternativlos und notwendig war, wo doch Arendt bemerkte, dass die größten Verbrechen in der Geschichte im Namen der Notwendigkeit begangen wurden? Oder er will Foucault gelesen haben, aber er scheint kein Freund der Parrhesie, die Foucault so wichtig war, des offenen und freien Wahrsprechens gegenüber der Macht, denn er tat den Idealismus eines Parrhesiastes – ich sprech von mir selbst – als Paragraphenreiterei ab und erklärte, es sei „alles etwas softer“, die Schule sei auf das Rathaus eben angewiesen – ein Satz, von dem er doch wissen müsste, dass Foucault, dass Arendt, dass alle Anderen, die jemals Etwas gedacht haben, ihn entschieden verurteilen würden. Und hätte er von Foucault nicht lernen können, was ich von ihm lernte? dass Aufklärung nämlich Selbstkritik ist, nicht Kritik der andren. Wieso dann ist dieser Mann so groß darin, anderen, die er als unter sich stehend empfinden kann, da sie jünger, da sie ohne Titel und Posten, da sie nicht eingeweiht sind in die inneren Geheimnisse der Notwendigkeiten und nicht die schwere Bürde der Schulleiterschaft tragen, wieso ist er so groß darin, diesen anderen im Nachhinein kluge Ratschläge zu geben, was sie alles hätten anders machen sollen, oder ihnen zu erklären, weshalb sie sich diese Ungerechtigkeit, jenen persönlichen Angriff seiner Vorgesetzten – wenn er das auch selbstverständlich alles schade finde! – im Grunde genommen selbst verdient hätten, wieso aber fühlt er sich persönlich beleidigt und missverstanden, ganz zu schweigen davon, dass er ja hart arbeite und das gefälligst zu würdigen sei, wann immer ein Schüler Kritik äußert? Ich weiß, dass schon mancher Schüler seinen Unmut deutlich bekundet, dass mancher das Gespräch gesucht hat, weiß, dass mehrere Ehemalige, die sich dies vor ihrem Abitur nicht trauten, mittlerweile kritische Briefe geschrieben haben, aber dies scheint diesem Manne nicht zu denken zu geben – höchstens Bauchschmerzen zu bereiten, weil er von anderen nicht gesehen wird, wie er gerne gesehen werden möchte. Dieser Mann ist typisch, sage ich, es kann einem hier alles in den Sinn kommen, was ein Fichte, was ein Nietzsche über den gemeinen Gelehrten und den Bildungsphilister zu sagen hatten, es kann hier die ganze Geistlosigkeit des deutschen Geistes illustriert, kann hier gezeigt werden, weshalb unser ganzes akademisches Wesen und Gewese und die ganze sogenannte Bildung, die hiermit einhergeht, so ziemlich weggeworfen werden kann. Aber im weiteren Sinne ist dies nicht nur lehrreich in Bezug auf den Unterschied von gelehrter Bildung und gelehrter Kenntnis, sondern man findet hier dieselbe Haltung wieder, die jedem Christianer oder Mohammedaner eigen ist, der zwar vielleicht frömmeln, vielleicht sogar eifern kann, der aber nicht zu den Nächstenliebenden und nicht zu den Schönhandelnden gehört und keine religio hat. Und es ist diese Haltung, die uns heute zum Verhängnis wird und gegen die im Angesicht der Klimakrise keine Toleranz mehr geübt werden darf: viele, viel zu viele Menschen, oft gerade aus jenem Milieu wie jener stellvertretende Schuldirektor, faseln wie die Eltern Greta Thunbergs, ehe sie sie sich erzog, vielleicht von sozialer Verantwortung, von Umweltschutz und dergleichen, wählen vielleicht die Grünen oder jedenfalls irgendetwas Soziales, fliegen aber weiter gedankenlos umher und verbrauchen selbst als Alleinlebende so viel Energie und Ressourcen wie in meines Vaters Jugend kein Vierpersonenhaushalt.

Vor allem aber hat man hier ein Lehrstück über jenes Phänomen vor sich, das ich die Unberührbarkeit nenne und von dem übrigens auch mein erstes Buch handeln soll, das ich – inschallah – dieses Jahr noch fertig schreiben werde. Sehr viele Menschen sind gegen ihre Mitwelt abgepanzert. Im äußeren Erscheinungsbilde dieser Panzerung, in den einzelnen Abwehrmechanismen mag es geringfügige Variationen geben, aber bei Lichte besehen handelt es sich immer um dieselbe Sache: Um eine Unbeweglichkeit und Dialogunfähigkeit, um den Unwillen, sich auf irgendetwas einzulassen und von irgendetwas bewegen zu lassen. Die Unberührbaren ändern ihre Meinungen nicht, auch wenn viele unter ihnen sich für sehr kritische und aufgeschlossene, gerne zu jeder Diskussion bereite Menschen halten mögen: diskutieren mögen sie vielleicht wirklich, aber nie werden sie ein Argument wahrhaft anhören, nie wird es in ihr Inneres durchdringen. Unberührbare machen keine Erfahrungen, ihnen kann vieles passieren, aber sie lassen ja nicht zu, dass etwas sie berührt; deshalb kann diese Direktorin hundertmal Zeit dadurch verlieren, dass sie sich keine Zeit nimmt, und wird es doch beim nächsten Male nicht anders machen, daher kann ihr Stellvertreter tausend gute Bücher lesen und wird durch diese doch nicht gebildet (gebildet nämlich, das steckt im Worte, das heißt eben berührt, das heißt geformt, es heißt, dass man durch diese Bildung ein wahrhaft anderer Mensch wird und nicht nur, dass man eine leere Kenntnis mehr in einer Kammer seines Gehirns abgespeichert hat). Unberührbare schließlich sind dies vor allem in der Moral, sie haben einen steinernen Wall um ihr Herz errichtet – worunter keiner mehr leidet als eben dieses Herz – und missbrauchen nun den Verstand, um diesen Wall aufrechtzuerhalten und gegen alle Moral zu klügeln. Als unberührbar hat sich wiederholt die Schulleitung erwiesen, mit der ich hier zu tun hatte, hat sich das Schulamt von Neukölln, hat sich der berliner Petitionsausschuss erwiesen. Eine Bekannte verglich diese Institutionen einmal mit einer Teflonpfanne: es prallt alles an ihnen ab, ein Gespräch mit ihnen ist so fruchtbar wie ein Gespräch mit einer Wand, Argumente werden nicht gehört, Beweise ignoriert (in meinem Falle nannte ich mehrmals Zeugen und bekam mehrmals zu hören, man könne den Fall leider nicht beurteilen, da es ja keine Zeugen gebe – wohlgemerkt, man hat nicht die von mir genannten Zeugen für unglaubwürdig erklärt, man hat sie nicht befragt und gefunden, dass sie mir widersprechen, man hat die wiederholte Nennung von Zeugen schlicht als etwas nie Stattgefundenes behandelt). Aber auch diese Unberührbarkeit findet man nicht nur hier an irgendeiner einzelnen Schule, man findet sie überall. Jeder, der schon einmal im Internet irgendeine Debatte geführt hat und Zeuge wurde, wie dort einige Argumente einfach übergangen wurden, wie leere Behauptungen wiederholt wurden, auch nachdem jemand sie widerlegt hatte, und ohne dass man sich die Mühe gemacht hätte, diese Widerlegung zuvor wiederum zu widerlegen. Und auch diese Unberührbarkeit muss heute ein Ende finden oder sie wird uns vernichten. Leute, die selbst dann noch, wenn sie sehen, wie eine Familie mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und in ein Land deportiert wird, da ihr der Tod droht, oder wenn sie die angespülte Leiche eines kleinen Kindes an einem Mittelmeerstrand sehen, sich nicht von dem berühren lassen, was sie da vor Augen sehen, sondern nur ihren Kopf und die darin befindliche Ideologie sprechen lassen, die dann wettern, recht so, das hätten diese Menschen sich selbst zugezogen usw. usf. – mit solchen Leuten ist keine Gesellschaft zu machen. Oder wem es nicht ausreicht, dass die Forschung zu dem Ergebnis kommt, dass sein Lebensstil für diese Erde nicht tragbar ist, jemand, den Dürren und Hitzewellen, Überflutungen und Wirbelströme in anderen Erdteilen kaltlassen, die er mit ausgelöst hat, und der selbst dann, wenn kleine Kinder sich genötigt fühlen, die Schule zu schwänzen, auf die Straßen zu gehen und ihr Menschenrecht einzufordern, jemand, der selbst jetzt noch jedes Berührtwerden verweigert und darauf beharrt, alle Tage seine Bockwurst zu fressen und alle Monate den Strand von Mallorca vollzukotzen – so jemand ist offensichtlich kein Mensch, kein lebendiges Wesen, er ist ein Stein: nur dass man selbst einen Stein zu einer herrlichen Statue bilden kann, wenn man nur das rechte Werkzeug besitzt. Aber wie sollten diese Unberührbarkeiten im Großen verschwinden, solange sie im Kleinen tagtäglich gelebt werden, solange sie selbstverständlicher Teil unseres Seins sind, solange wir gerade hierzu unsere Kinder erziehen (just diese Schulleiterin, von der ich hier sprach, scheint gar nichts anderes erreichen zu wollen, als ihre Schüler von aller möglichen Berührung und echten Bildung fernzuhalten)? Wie sollten sie verschwinden und wie sollte damit auf Erden je etwas besser werden, frage ich also, wenn nicht die Menschen sich aufklären?

Zweierlei Aufklärung treibe ich also, indem ich heute den vor knapp drei Jahren verfassten offenen Brief aus der Bananenrepublik Neukölln veröffentliche: Aufklärung über das, was mir damals widerfahren ist, und darüber, wer Franziska Giffey ist und wie sie mit dem Bürger und mit Kritik und nicht zuletzt mit jungen Wählern umgeht. Und Aufklärung über die Unaufgeklärtheit und ihre Folgen. Ich habe das damals Geschriebene nicht verändert, was ich beim Lesen, etwa bei den Zeitangaben, die sich auf das ausgehende Jahr 2016 beziehen, zu bedenken bitte. Nur zweierlei ist neu: Einmal die erklärenden Fußnoten, die im ursprünglichen Brief nicht enthalten waren. Zum anderen habe ich die Namen geändert: nicht den Giffeys, das wäre albern, denn es ist bekannt, wer 2016 neuköllner Bürgermeisterin war, und außerdem ist es wichtig, dass man wisse, um welchen Politiker es hier geht, denn immerhin ist Giffey nach wie vor in der Politik aktiv, was mir die Pflicht gibt, ihre möglichen Wähler wissen zu lassen, wer da zur Wahl steht. Aber den Namen der Schule und ihrer Leiterin habe ich geändert; sie brauchen niemanden zu kümmern, der nicht Gefahr läuft, sein Kind auf dieser Schule anzumelden – diese Gefahr besteht jenseits der Grenzen Neuköllns nicht und innerhalb dieser Grenzen sprechen sich Dinge auch gut herum, ohne dass ich sie öffentlich mache –, und es ist hier nicht mein Anliegen, konkrete Personen anzuprangern, sondern über ein ernsthaftes Problem zu sprechen, das wie alle echten Probleme kein Einzelfall ist, wenn es auch an einem einzelnen Falle verdeutlicht werden kann.

Noch eine letzte Bemerkung will ich machen: Sollte die fragliche Schulleitung, sollte Giffey eines Tages hören, dass ich diesen offenen Brief hier publik gemacht habe, wird dies wahrscheinlich eine Überraschung für sie sein. Aber warum denn? Es gehört doch zum Wesen eines offenen Briefes, dass man ihn nicht für sich behält, sondern eben öffentlich macht; und dass es diesen Brief gibt, das weiß besagte Schulleitung, wenn sie ihn auch nicht gelesen haben mag. Nun, man hat mich damals eben hinausgeworfen und damit war die Sache vorüber. Ich glaube nicht, dass man drei Jahre später noch einen Gedanken an jenen Vorfall verschwendet. Giffey hat seither Karriere gemacht, wenn auch eine, die in eine Sackgasse führt (nicht nur ihrer Doktorarbeit wegen, sondern schon, weil sie ausgerechnet in der SPD ist), jene Schulleiterin hat seither genug andere Menschen niedergeschrien, gedemütigt, hinausgeworfen und mehr, die kommen und gehen. Auch dies ist Zeichen von Missachtung: dass man nicht fragt, was aus einem Menschen wird, dass es einem genügt, ihn beseitigt zu haben, worauf man dann gar nicht mehr an ihn denkt: es ist die gleiche Missachtung, die wir jedem Flüchtling gegenüber an den Tag legen, den wir abschieben, unbekümmert darum, dass wir ihn vielleicht in einer ihm fremden Stadt sitzenlassen, ohne viel Geld in der Tasche, ohne irgendeinen Bekannten in der Nähe. Aber nochmals: Woher die Überraschung? Wieso konnten diese Menschen, die nun länger nichts von mir gehört haben, diese Sache für abgetan halten und meinen, ich würde fortan schweigen? So konnte doch nur denken, wer bloß an Macht glaubt: wer meint, es genüge, mit der Fliegenklatsche auf eine Fliege zu klatschen, dann gebe sie Ruhe. Das genügt zugegeben auch wirklich: bei einer Fliege. Aber für mich stand von Anfang an fest, dass ich mir zwar zunächst etwas Zeit nehmen, mein Studium und meinen Aufklärungsunterricht beenden, dass ich aber niemals zulassen würde, dass irgendwo auf der Welt, so wie nach wie vor an jener Schule, mit meinem Wissen Böses geschieht und dass dieses Böse versteckt bleibt. Niemand, der mich kennt, wird verwundert sein, dass ich meinen damaligen offenen Brief nicht auf meiner Festplatte ruhen lasse, sondern ihn nun dem Publikum vorlege. Aber wer mich kennt, der weiß eben, dass ich tue, was mir die Vernunft gebietet. Wem „alles etwas softer“ ist, wer zuvörderst die Beziehungen zum Rathaus im Auge hat, weil diese ja notwendig seien, der wird nicht verstehen können, dass ein Anderer einem Ideale folgt. Aber es ist eine alte Binsenweisheit, dass das Gute nur vom Guten verstanden werden kann: Diesen meinen Brief zu veröffentlichen, entspricht ganz meinem Charakter. Und eben darum muss es manchen überraschen – eigentlich nämlich sind niemandes Handlungen vorhersehbarer als die des aufgeklärten Menschen, der festen Grundsätzen folgt und darum einen Charakter hat, aber alle charakterlosen Unaufgekärten, die keinen Grundsätzen, sondern dem Dünkel und den Launen folgen und die – dies tun die Unaufgeklärten immer – meinen, alle übrigen Menschen müssten ebenso sein wie sie, all jene werden stets aufs Neue überrascht, wenn jemand Charakter zeigt und konsequent handelt: mit allem rechnen sie, damit, dass einer seinen Vorteil sucht, seiner Neigung folgt, sich irgendwelche gemeinen und hinterhältigen Manöver ausdenkt, nur nie damit, dass er konsequent und unbeirrt seinen Weg einhergeht, wie viel Steine man ihm auch in diesen hineinschmeißt.

 

Offener Brief aus der Bananenrepublik Neukölln